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ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)

ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)

Titel: ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Christian Andersen , H.C. Andersen
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träumen, aber wunderlich genug, selbst im Traume konnte sie ihnen nicht begegnen. Endlich träumte ihr eines Nachts, daß ihre Stimmen bis zu ihr herüber klängen, sie riefen ihr zu, flehten zu ihr aus der weiten Welt, und sie mußte hinaus, weit fort, und doch schien es ihr, als sei sie noch in ihres Vaters Hause. Die Brüder traf sie nicht, aber in ihrer Hand fühlte sie es wie Feuer brennen, doch es schmerzte nicht; sie hielt den leuchtenden Edelstein und brachte ihn ihrem Vater. Als sie erwachte, glaubte sie einen Augenblick lang daß sie ihn noch hielte; es war ihr Rocken, den ihre Hand krampfhaft umklammerte. In den langen Nächten hatte sie unablässig gesponnen; der Faden auf ihrer Spindel war feiner, als das Gewebe der Spinne, Menschenaugen hätten den einzelnen Faden überhaupt nicht entdecken können. Sie hatte ihn mit ihren Tränen genetzt, und er war stark wie ein Ankertau. Sie erhob sich, ihr Entschluß war gefaßt, der Traum mußte zur Wahrheit werden. Es war Nacht, ihr Vater schlief, sie küßte seine Hand, nahm ihre Spindel und band das Ende des Fadens am Hause ihres Vaters fest, sonst würde sie ja, die Blinde, niemals wieder heimfinden. An den Faden wollte sie sich halten, auf ihn verließ sie sich, nicht auf sich selbst und andere. Sie pflückte vier Blätter vom Baume der Sonne, die wollte sie mit Wind und Wetter gehen lassen, damit sie zu den Brüdern als Brief und Gruß gelangten, wenn es geschehen sollte, daß sie sie draußen in der weiten Welt nicht fand. Wie würde es ihr wohl dort ergehen, dem armen blinden Kind! Doch sie hatte den unsichtbaren Faden, an dem sie sich halten konnte; weit war sie allen den anderen voraus, denn sie nannte eine Gabe ihr eigen: das Gefühl, und durch dieses hatte sie gleichsam Augen in jeder Fingerspitze und Ohren im Herzen.
     
    So ging sie hinaus in die laute, lärmende, wunderliche Welt, und wohin sie kam, wurde der Himmel sonnenklar, sie konnte die warmen Strahlen empfinden, der Regenbogen spannte sich aus der schwarzen Wolke über die blaue Luft, sie hörte der Vögel Gesang, spürte den Duft der Orangen- und Äpfelgärten so stark, daß sie fast glaubte, ihn zu schmecken. Weiche Töne und lieblicher Gesang erreichten sie, doch auch Heulen und Schreien; seltsam im Streit miteinander standen Gedanken und Urteil. Tief in ihrem Herzen klangen die Herzens- und Gedankenstimmen der Menschenbrust wieder; es erbrauste im Chor:
     
    "Nur Sturm ist unser Erdenlos,
     
    eine Nacht, darin wir weinen."
     
    Aber es ertönte auch der Gesang:
     
    "Unser Leben ist die lieblichste Ros'
     
    Und Freudensonnen uns scheinen."
     
    Und klang es bitter:
     
    "Ein jeder denket nur an sich,
     
    Auf den Nutzen geht alles Streben."
     
    So lautete es als Antwort:
     
    "Ein Strom der Liebe geht inniglich
     
    Durch unser Erdenleben."
     
    Wohl hörte sie die Worte:
     
    "Das Ganze ist so klein und dumm,
     
    Man kehr einmal die Dinge um."
     
    Aber sie hörte auch:
     
    "Soviele Taten sind groß und gut
     
    In der Welt man nichts davon wissen tut."
     
    und klang es ringsum in brausendem Chor:
     
    "Schab Rübchen nur, lach alles aus,
     
    Bell mit, wenn Hunde bellen!"
     
    so erklang es in des blinden Mädchens Herzen:
     
    "Vertrau auf Gott in Nacht und Graus
     
    Stets rinnen seine Quellen"
     
    Und wo sie im Kreise von Männern und Frauen, bei Alten und Jungen erschien, da leuchtete in den Seelen die Erkenntnis des Wahren, Guten und Schönen auf; wohin sie kam, in des Künstlers Werkstätte, in den reichen Festsaal oder in die Fabrik zwischen die schnurrenden Räder, war es, als ob ein Sonnenstrahl leuchte, eine Seite erklänge, eine Blume dufte oder ein erquickender Tautropfen auf ein verschmachtendes Blatt fiele.
     
    Aber darin konnte sich der Teufel nicht finden. Er hatte mehr Verstand als zehntausend Männer, und so wußte er sich zu helfen. Er ging in den Sumpf, nahm die aus dem fauligen Wasser aufsteigenden Blasen, ließ das siebenfache Echo des Lügenwortes über sie hinschallen, um sie kräftiger zu machen. Er pulverisierte bezahlte Ehrenverse und lügenhafte Leichenpredigten, so viele sich nur finden ließen, kochte sie in Tränen, die der Neid geweint hatte, streute oben etwas Schminke darauf, die von einer vergilbten Jungfernwange gekratzt war, und schuf hieraus eine Mädchengestalt, die in Bewegung und Aussehen der des segensreichen blinden Mädchens glich. "Den milden Engel des Gefühls" nannten sie die Menschen, und so darauf legte der Teufel sein Spiel an.

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