ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
sagte er. "Ich reise nun; aber welches Beförderungsmittel soll ich wählen? Sind die Luftballons schon entdeckt?" fragte er seinen Vater, der ja von allen Erfindungen wußte, die gemacht waren oder gemacht werden würden. Aber der Luftballon war noch nicht entdeckt, auch nicht die Dampfschiffe und Eisenbahnen. "Ja, dann werde ich doch einen Luftballon nehmen!" sagte er. "Mein Vater weiß, wie sie gemacht und gelenkt werden müssen, und ich lerne es. Niemand kennt die Erfindung und so werden sie glauben, es sei ein Trugbild. Wenn ich den Ballon benutzt habe, verbrenne ich ihn, wozu Du mir noch ein paar von der zukünftigen Erfindung mitgeben mußt, die "chemische Schwefelhölzer" genannt wird."
Dies alles bekam er, und dann flog er davon. Die Vögel folgten ihm länger, als sie den anderen gefolgt waren, denn sie wollten doch gern sehen, wie dieser Flug ablief. Immer mehr kamen herbei, alle waren neugierig und glaubten, es sei ein neuer Vogel, der dort flöge. Ja, er bekam ein stattliches Gefolge. Die Luft wurde schwarz von Vogelscharen, sie flogen einher wie eine große Wolke, wie die Heuschreckenschwärme über Ägypten, und dann war er in der weiten Welt draußen.
"Ich habe einen guten Freund und Gehülfen an dem Ostwind gehabt!" sagte er.
"Ostwind und Westwind, meinst Du wohl" sagten die Winde. "Wir sind zu zweit gewesen, um uns abzulösen, sonst wärest Du nicht nach Nordwesten gekommen."
Aber er hörte nicht, was die Winde sagten, und das war ja auch gleichgültig. Die Vögel kamen nun auch nicht länger mit. Als das Gefolge am größten geworden war, wurde einigen die Fahrt über, und sie sagten, es würde zuviel aus der Sache gemacht, sie würde noch ganz eingebildet werden. "Es lohnt das Hinterherfliegen nicht, es ist im Grunde gar nichts, jedenfalls nicht der Rede wert." Dann blieben sie zurück, und das blieben nach und nach die anderen auch. Das Ganze war ja nichts.
Der Luftballon ging über einer der größten Städte nieder und der Luftschiffer setzte sich an den höchsten Platz, das war der Kirchturm. Der Ballon stieg wieder himmelwärts, was er nicht sollte. Wo er geblieben ist, ist nicht gut zu sagen, aber das war auch gleich, denn er war ja noch nicht erfunden.
Da saß er nun oben auf dem Kirchturm. Die Vögel flogen nicht zu ihm heran, denn sie hatten es über mit ihm und er mit ihnen ebenfalls. Alle Schornsteine in der Stadt rauchten und dufteten.
"Es sind Altäre, die für Dich errichtet sind" sagte der Wind, der ihm etwas Angenehmes sagen wollte.
Keck saß er dort oben und sah auf die Leute in den Straßen hinab; der eine war stolz auf seinen Geldbeutel, der andere auf seinen Schlüssel, obgleich er nichts aufzuschließen hatte. Einer war stolz auf seinen Rock, in dem die Motten saßen, ein anderer auf seinen Leib, an dem schon die Würmer nagten.
"Eitelkeit, ja, ich muß wohl bald hinunter und den Topf anrühren und kosten!" sagte er. "Aber hier will ich noch ein wenig sitzen bleiben, der Wind kitzelt mir so herrlich den Rücken, mir ist richtig behaglich zumute. Ich bleibe hier so lange sitzen, wie der Wind bläst. Ich will ein wenig Ruhe haben. Es ist gut, am Morgen lange liegen zu bleiben, wenn man viel zu tun hat, sagt der Faule. Aber Faulheit ist die Wurzel alles Übels, und Übles gibt es in unserer Familie nicht. Das sage ich und das sagt wohl jeder Sohn. Ich bleibe sitzen, solange dieser Wind bläst, es schmeckt mir."
Und er blieb sitzen; aber er saß auf des Turmes Wetterhahn, der drehte und drehte sich mit ihm, sodaß er glaubte, es sei noch immer derselbe Wind. Also blieb er sitzen, und da konnte er lange sitzen und schmecken!
Aber im Lande Indien auf dem Baum der Sonne war es leer und stille geworden, als die Brüder einer nach dem anderen fortgezogen waren.
"Es geht ihnen nicht gut" sagte der Vater; "nie werden sie den leuchtenden Edelstein heimbringen, er wird für mich nie gefunden, und sie sind fort, tot." Und er beugte sich über das Buch der Wahrheit, starrte auf das Blatt, wo er über das Leben nach dem Tode lesen sollte, aber dort war für ihn nichts zu sehen und zu erfahren.
Die blinde Tochter war sein Trost und seine Freude; so innig und liebevoll schloß sie sich ihm an; denn seine Freude und sein Glück wünschte sie, das köstliche Juwel mußte gefunden und heimgebracht werden. In Trauer und Sehnsucht gedachte sie der Brüder. Wo waren sie? Wo lebten sie? Von ganzem Herzen wünschte sie sich, von ihnen zu
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