ANDERSENS MÄRCHEN ((Sämtliche Werke)) (German Edition)
lebendig geworden sei. Hier stand Michel Angelo, Dante mit dem Lorbeerkranz um die Stirn, Alfieri, Macchiavelli. Seite an Seite ruhen hier diese großen Männer, Italiens Stolz! Es ist eine prächtige Kirche, weit schöner, wenn auch nicht so groß, wie die marmorne Domkirche zu Florenz.
Es war, als ob die Marmorgewänder sich bewegten, als ob die großen Gestalten ihre Häupter höher erhöben und unter Gesang und sanften Tönen durch die Nacht empor zu dem farbig erstrahlenden Altar blickten, wo weißgekleidete Knaben die goldenen Räucherfässer schwangen, deren starker Duft aus der Kirche bis auf den offenen Platz strömte.
Der Knabe streckte seine Hand nach dem Lichtglanze aus, und im gleichen Augenblick fegte das Bronzeschwein von dannen. Er mußte sich fest an seinen Leib pressen, der Wind pfiff um seine Ohren, er hörte die Kirchenpforte in den Angeln knarren, während sie sich wieder schloß, aber zugleich schien das Bewußtsein ihn zu verlassen. Er fühlte eine eisige Kälte und schlug die Augen auf.
Es war Morgen. Er saß, halb hinabhängend, auf dem Bronzeschwein, das, wie es immer zu tun pflegte, in der Porta Rossa stand.
Furcht und Angst erfüllten den Knaben bei dem Gedanken an die, die er Mutter nannte, und die ihn gestern fortgeschickt und gesagt hatte; daß er Geld herschaffen solle. Nichts hatte er bekommen, nur hungrig und durstig war er! Noch einmal umhalste er das Bronzeschwein, küßte es auf den Rüssel, nickte ihm zu und wanderte dann von dannen nach einer der engsten Gassen, kaum breit genug für einen wohlbepackten Esel. Eine große, eisenbeschlagene Tür stand halb offen. Hier ging er eine gemauerte Treppe mit schmutzigen Stufen und einem glatten Seil an eines Geländersstatt hinauf und kam auf eine offene mit Lumpen behängte Galerie. Eine Trekke führte von hier aus auf den Hof, wo vom Brunnen dicke Eisendrähte nach allen Etagen des Hauses hinaufgezogen waren, und ein Wassereimer schwebte neben dem anderen, während die Winde knirschte und der Eimer in der Luft tanzte, daß das Wasser hinab in den Hof klatschte. Abermals ging es eine verfallene Steintreppe hinauf. Zwei Matrosen, es waren Russen, sprangen vergnügt herunter und hätten den armen Jungen um ein Haar umgestoßen. Sie kamen von ihrem nächtlichen Bacchanal. Eine nicht mehr junge, aber üppige Frauengestalt mit starkem, schwarzen Haar, folgte. "Was hast Du nachhause gebracht?" fragte sie den Knaben.
"Sei nicht böse!" bat er, "Ich habe nichts bekommen, gar nichts!", und er griff nach dem Rock der Mutter, als ob er ihn küssen wolle. Sie traten in die Kammer. Wir wollen sie nicht näher beschreiben, nur soviel sei gesagt, daß dort ein Henkelkrug mit Kohlenfeuer stand, ein marito, wie man ihn nennt, den nahm sie auf ihren Arm, wärmte die Finger und puffte den Knaben mit den Ellenbogen: "Ja, gewiß hast Du Geld!." sagte sie.
Das Kind weinte, sie stieß mit dem Fuße nach ihm, und er jammerte laut. - "Willst Du schweigen, oder ich schlage Dir Deinen brüllenden Kopf entzwei!" Und sie schwang den Feuerkrug, den sie in der Hand hielt. Der Junge duckte sich mit einem Schrei auf die Erde. Da trat die Nachbarsfrau zur Tür herein. Auch sie trug ihren marito auf dem Arm. "Felicita! Was tust Du mit dem Kinde?"
"Das Kind gehört mir!" antwortete Felicita. "Ich kann es ermorden, wenn ich will und Dich dazu, Gianina!" und sie schwang ihren Feuerkrug. Die andere hob den ihren abwehrend in die Höhe und beide Töpfe fuhren zusammen, daß Scherben, Feuer und Asche im Zimmer umherflogen. Der Knabe aber war im Nu zur Tür hinaus, über den Hof und aus dem Hause. Das arme Kind lief, bis es ganz außer Atem war. Er machte halt vor der Kirche St. Croce, deren Tore sich in der vergangenen Nacht vor ihm geöffnet hatten, und ging hinein; alles strahlte. Er kniete vor dem ersten Grabe zur Rechten nieder, es war Michelangelos Grab, und bald schluchzte er laut. - Die Menschen kamen und gingen. Die Messe wurde gelesen, niemand nahm Notiz von dem Knaben. Nur ein ältlicher Bürger hielt an, betrachtete ihn - und ging dann fort, wie die anderen auch.
Hunger und Durst plagten den Kleinen, er war halb ohnmächtig und so schwach. So kroch er in die Ecke zwischen der Wand und dem Marmormonument und fiel in Schlaf. Es war gegen Abend, als er wieder aufwachte. Jemand schüttelte ihn und er fuhr empor. Derselbe alte Bürger stand vor ihm.
"Bist Du krank? Wo gehörst Du denn hin? Bist Du denn hier den ganzen Tag
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