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Andromeda

Andromeda

Titel: Andromeda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Crichton
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nur der Wind. Es war ein hoher, dünner, klagender Ton, völlig rätselhaft zuerst und dann Erstaunen erregend. Aber das Weinen hörte nicht auf. Es wurde nur ab und zu durch ein kurzes, trockenes Husten unterbrochen. Sie liefen hinaus.
    Der Ton war so leise, daß man nur schwer feststellen konnte, woher er kam. Sie eilten die Straße hinauf. Das Weinen schien lauter zu werden, es spornte sie an. Dann hörte es unvermittelt auf.
    Keuchend und nach Atem ringend blieben die beiden stehen, mitten auf der verlassenen Straße in der warmen Sonne, und sahen einander an.
    »Haben wir vielleicht den Verstand verloren?« fragte Burton.
    »Nein«, antwortete Stone. »Das haben wir tatsächlich gehört.«
    Sie warteten. Minutenlang blieb es vollkommen still. Burton sah die Straße, die Häuser entlang, bis hin zu dem Militärfahrzeug, das vor Dr. Benedicts Haus am anderen Ende parkte.
    Dann setzte das Weinen wieder ein. Es klang jetzt lauter, mehr wie ein verzagtes Heulen. Die beiden Männer rannten los.
    Es kam aus dem zweiten Haus auf der rechten Seite. Draußen auf dem Fußweg lagen ein Mann und eine Frau, die Hände an die Brust gepreßt. Sie liefen an den beiden Leichen vorüber ins Haus. Das Weinen wurde noch lauter. Es hallte in den leeren Räumen.
    Sie stürzten hinauf ins Obergeschoß und fanden das Schlafzimmer. Ein breites, ungemachtes Doppelbett, Frisiertisch, Spiegel, Wandschrank. Und eine Kinderwiege.
    Sie beugten sich darüber und zogen die Decken von einem sehr kleinen, sehr unglücklichen Baby mit sehr rotem Gesichtchen weg. Sofort unterbrach das Baby sein Geschrei, gerade lange genug, um die beiden Gesichter hinter den Plastikmasken zu mustern. Dann ging das Geschrei von neuem los. »Wir haben dem armen Ding einen schönen Schrecken eingejagt«, sagte Burton.
    Er hob das Baby behutsam aus der Wiege und schaukelte es auf den Armen. Es brüllte weiter. Der zahnlose Mund stand weit offen, die Bäckchen waren dunkelrot angelaufen, die Venen an der Stirn traten hervor. »Hat vermutlich Hunger«, sagte Burton. Stone furchte die Stirn. »Ist noch sehr jung, kaum mehr als zwei Monate. Ein Er oder eine Sie?«
    Burton schlug die Decken auseinander und warf einen prüfenden Blick in die Windeln. »Ein Er. Die Windeln müssen dringend gewechselt werden. Und gefüttert muß er werden.« Er sah sich im Zimmer um. »Vermutlich in der Küche …«
    »Nein«, entschied Stone. »Zu essen bekommt er nichts.«
    »Warum denn nicht?«
    »Wir werden mit diesem Kind nichts anstellen, bis wir von hier weg sind. Vielleicht spielt die Nahrungsaufnahme bei dem Krankheitsprozeß eine Rolle. Vielleicht wurden gerade die Leute nicht so rasch und nicht so hart betroffen, die länger nichts mehr gegessen hatten. Vielleicht war in der Babynahrung ein Stoff, der immunisierend wirkte. Vielleicht …« Er hielt inne. »Was es auch sein mag, wir werden keinerlei Risiko eingehen. Wir müssen warten, bis wir den Kleinen unter klinischen Bedingungen kontrollieren können.«
    Burton seufzte. Er wußte, daß Stone recht hatte, aber er wußte auch, daß der Kleine seit mindestens zwölf Stunden keine Nahrung mehr bekommen hatte. Kein Wunder, daß er wie am Spieß brüllte.
    Stone sagte: »Das ist eine sehr bedeutsame Wendung. Jetzt haben wir einen entscheidenden Anhaltspunkt. Wir müssen dafür sorgen, daß dem Kind nichts zustößt. Ich bin dafür, daß wir sofort zurückfliegen.«
    »Wir sind mit der Bestandsaufnahme noch nicht fertig.«
    Stone schüttelte den Kopf. »Macht nichts. Was wir gefunden haben, ist weitaus wertvoller, als wir uns erhoffen durften. Wir haben einen Überlebenden!«
    Das Baby hörte für einen Augenblick zu weinen auf, schob einen Finger in den Mund und sah Burton fragend an. Dann, als es merkte, daß von dieser Seite kein Futter zu erhoffen war, begann es erneut zu schreien.
    »Schade, daß er uns nicht erzählen kann, was geschehen ist«, sagte Burton.
    »Ich hoffe, er wird es uns sagen«, antwortete Stone.
     
    Sie stellten den Bergungswagen mitten auf die Straße, genau unter den hoch oben schwebenden Hubschrauber, und gaben dem Piloten das Zeichen, tieferzugehen. Burton hielt das Baby in den Armen. Stone den Scoop-Satelliten. Seltsame Trophäen bringen wir mit, dachte Stone – von einem seltsamen Ort. Der Kleine war jetzt still; vom Weinen endlich müde geworden, schlief er, wenn auch unruhig. Immer wieder wachte er auf, wimmerte leise und schlief wieder ein.
    Der Hubschrauber ging nieder und wirbelte Staubschwaden auf.

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