Andromeda
Burton schlug dem Baby die Decken übers Gesicht, um es davor zu schützen. Die Strickleiter wurde herabgelassen. Mit einigen Schwierigkeiten kletterte er hinauf. Stone wartete unten mit der Kapsel im Arm im Wind und Staub und Pochen des Hubschrauberrotors. Plötzlich spürte er, daß er nicht allein auf der Straße stand. Er drehte sich um und sah einen Mann hinter sich. Es war ein alter Mann mit dünnem, grauem Haar und einem zerknitterten, ausgemergelten Gesicht. Er trug ein langes weißes Nachthemd, das schmutzbeschmiert und gelb vom Staub war. Barfüßig stolperte und schwankte er auf Stone zu. Sein Brustkasten unter dem Nachthemd hob und senkte sich heftig vor Anstrengung.
»Wer sind Sie?« fragte Stone. Aber er kannte die Antwort: Es war der Mann von den Filmen – der Mann, den man vom Flugzeug aus aufgenommen hatte.
»Ihr …«, begann der Mann.
»Wer sind Sie?«
»Ihr … habt’s … getan …«
»Wie heißen Sie?«
»Tut mir nichts! Ich … ich bin nicht … wie die anderen …«
Zitternd vor Angst starrte er Stone in seinem Plastikanzug an. Wir müssen ihm seltsam vorkommen, dachte Stone. Wie Marsmenschen, Männer von einem andern Stern. »Tut mir nichts …«
»Wir tun Ihnen nichts«, versicherte Stone. »Wer sind Sie?«
»Jackson. Peter Jackson, Sir. Bitte, tut mir nichts.« Er deutete auf die Toten, die herumlagen. »Ich bin nicht so wie die anderen …«
»Wir tun Ihnen bestimmt nichts«, sagte Stone noch einmal.
»Ihr habt aber die anderen …«
»Nein, das waren nicht wir.«
»Sie sind tot.«
»Damit haben wir nichts …«
»Sie lügen!« schrie der Mann mit weit aufgerissenen Augen. »Sie lügen mich an! Sie sind kein … Mensch. Sie tun nur so. Sie wissen, daß ich ein kranker Mann bin. Sie wissen, daß Sie es mit mir machen können. Ich bin ein kranker Mann. Ich verblute langsam. Ich weiß. Ich hab’ diese … diese …« Seine Stimme versagte. Er beugte sich vor, hielt sich den Magen und wimmerte vor Schmerzen.
»Fehlt Ihnen etwas?«
Der Mann fiel um. Er atmete schwer, seine Haut wurde fahl. Schweiß stand ihm auf dem Gesicht. »Mein Magen«, keuchte er. »Es ist mein Magen.« Dann übergab er sich. Der Auswurf war dunkelrot von Blut.
»Mr. Jackson …«
Aber der Mann hörte ihn nicht. Mit geschlossenen Augen lag er auf dem Rücken. Einen Augenblick lang glaubte Stone schon, er sei tot, aber dann sah er, wie die Brust sich bewegte – langsam zwar, aber sie bewegte sich.
Burton kam wieder herunter. »Wer ist es denn?«
»Unser wandelndes Gespenst. Helfen Sie mir, ihn hinaufzuschaffen.«
»Lebt er denn noch?«
»Bis jetzt schon.«
»Ich werd’ verrückt!« sagte Burton.
Mit dem Flaschenzug holten sie den bewußtlosen Peter Jackson nach oben. Dann ließen sie den Haken noch einmal herunter und bargen auch die Raumkapsel. Langsam stiegen Burton und Stone sodann wieder hinauf in den Bauch des Hubschraubers.
Sie behielten die Schutzanzüge an und schlossen eine zweite Sauerstofflasche an, deren Inhalt für weitere zwei Stunden reichen würde. Dann mußten sie im Wildfire-Labor sein. Der Pilot stellte die Funkverbindung mit Vandenberg her, damit Stone mit Major Manchek sprechen konnte.
»Was haben Sie gefunden?« fragte Manchek.
»Der Ort ist ausgestorben. Wir haben Hinweise darauf gefunden, daß sich dort etwas Ungewöhnliches abspielt.«
»Vorsicht, das ist eine offene Leitung«, warnte Manchek.
»Das weiß ich. Werden Sie 7-12 anfordern?«
»Ich werde es versuchen. Jetzt gleich?«
»Ja, jetzt gleich.«
»Piedmont?«
»Ja.«
»Sie haben den Satelliten?«
»Ja, den haben wir.«
»Gut«, sagte Manchek. »Ich gebe die Anweisung weiter.«
Direktive 7-12
Die Direktive war Bestandteil des endgültigen Wildfire-Protokolls über die Maßnahmen im Falle eines biologischen Alarms. Sie betraf die Zündung einer thermonuklearen Waffe von begrenzter Sprengwirkung an dem Ort, wo irdisches Leben fremden Organismen ausgesetzt war. Das Deckwort für die Direktive lautete »Kauter«, da es Aufgabe der Bombe war, die Infektion zu kauterisieren – sie auszubrennen wie eine Wunde und damit die weitere Verbreitung zu verhindern.
Die zuständigen Behörden – Exekutive, Außenministerium, Verteidigungsministerium und Atomenergiekommission – hatten diesem Schritt erst nach langem Zögern zugestimmt. Besonders die Atomenergiekommission war schon nicht glücklich darüber gewesen, daß dem Wildfire-Laboratorium ein atomarer Sprengkörper zugewiesen worden war; sie hatte sich
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