Andromeda
Wind hin und her. Sie traten ein und standen in einem leeren Wohnzimmer. Rechts davon lag der Behandlungsraum des Arztes.
Hier fanden sie Dr. Benedict, einen wohlbeleibten weißhaarigen Mann. Er saß an seinem Schreibtisch, vor sich ein paar aufgeschlagene Fachbücher. Auf einem Regal an der einen Wand waren Flaschen, Spritzen sowie Fotos angeordnet, die anscheinend Familienangehörige und ein paar Männer in Kampfuniformen zeigten. Unter dem Gruppenbild grinsender GI’s stand die Widmung: »Für Benny. Von den Boys der 87. Anzio.«
Benedict selbst starrte ausdruckslos in eine Ecke des Zimmers. Seine Augen waren weit geöffnet, seine Miene wirkte friedlich.
»Nun«, sagte Burton, »der gute Benedict hat wenigstens nicht …«
Da erblickte er den Satelliten.
Der schlanke, polierte Kegel stand aufrecht auf dem Fußboden; die Kanten waren von der Hitze beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre angesengt und gesprungen. Die Kapsel war mit roher Gewalt geöffnet worden, offenbar mit Hilfe einer Zange und eines Stemmeisens. Die Werkzeuge lagen noch daneben auf dem Boden.
»Der Idiot hat ihn aufgemacht«, sagte Stone. »So ein hirnverbrannter Blödsinn!«
»Woher sollte er es denn wissen?«
»Er hätte ja jemanden fragen können«, sagte Stone und seufzte. »Jedenfalls weiß er jetzt Bescheid. Er und neunundvierzig andere.« Er beugte sich über den Satelliten und schloß die klaffende dreieckige Klappe. »Haben Sie den Behälter?«
Burton zog den zusammengefalteten Plastiksack hervor und schüttelte ihn auseinander. Dann zog er ihn über den Satelliten und verschloß ihn luftdicht.
»Ich bete zu Gott, daß noch etwas von dem Zeug vorhanden ist«, sagte Burton.
»In gewisser Weise hoffe ich das Gegenteil«, sagte Stone sehr leise.
Jetzt wandten sie ihre Aufmerksamkeit Benedict zu. Stone trat hinter ihn und schüttelte ihn. Steif kippte der Mann vom Stuhl und krachte auf den Boden.
Burton sah seine Ellbogen und wurde plötzlich ganz aufgeregt. Er beugte sich über den Toten. »Los, helfen Sie mir!« rief er Stone zu.
»Wobei?«
»Ausziehen.«
»Warum?«
»Ich möchte die Totenflecken nachsehen.«
»Aber warum denn?«
»Warten Sie nur«, sagte Burton. Er knöpfte Benedicts Hemd auf und löste seinen Hosenriemen. Schweigend arbeiteten die beiden, bis Benedicts Leiche nackt vor ihnen lag. »Da!« rief Burton und trat zurück.
»Ich werd’ verrückt!« sagte Stone.
Es waren keine Totenflecken vorhanden! Normalerweise ist es so, daß sich das Blut bei einem Toten infolge des eigenen Gewichts an den tiefsten Stellen ansammelt: Wenn jemand im Bett stirbt, bekommt er von der Blutansammlung einen violetten Rücken. Aber Benedict, der in seinem Sessel sitzend gestorben war, hatte keinerlei Totenflecken am Gesäß oder an den Hüften.
Auch nicht an den Ellbogen, die auf die Lehne aufgestützt gewesen waren.
»Das ist wirklich eine sehr seltsame Sache«, sagte Burton. Er sah sich um und entdeckte einen kleinen Sterilisator für ärztliche Instrumente. Er öffnete den Behälter und entnahm ihm ein Skalpell. Vorsichtig, um seinen luftdichten Schutzanzug nicht zu beschädigen, setzte er eine Klinge ein. Dann beugte er sich wieder über den Toten. »Wir nehmen die am besten zugängliche größere Arterie und Vene«, erklärte er. »Und die wäre?«
»Die Radialis am Handgelenk.«
Burton hielt das Instrument sehr vorsichtig und führte den Schnitt dicht an der Daumenwurzel quer über die Innenseite des Handgelenks. Die Haut klaffte über einer vollkommen blutleeren Wunde. Fettschichten und subkutanes Gewebe traten zutage. Aber kein Tropfen Blut. »Erstaunlich.«
Er schnitt tiefer. Die Wunde blutete immer noch nicht. Plötzlich erfaßte er ein Blutgefäß. Eine krümelige, rotschwarze Masse fiel auf den Boden.
»Ich werd’ verrückt!« sagte Stone noch einmal.
»Fest geronnen«, sagte Burton. »Kein Wunder, daß die Leute nicht geblutet haben.« Burton bat: »Helfen Sie mir ihn umdrehen.« Mit vereinten Kräften drehten sie den Toten auf den Rücken. Burton machte einen tiefen Einschnitt in der Hüftgegend und arbeitete sich bis zur Oberschenkelarterie und -vene vor. Auch hier kam es zu keiner Blutung, und als er die daumendicke Arterie erreichte, sah er, daß sie zu einer festen rötlichen Masse geronnen war. »Unfaßbar!«
Den nächsten Schnitt setzte er an der Brust an, legte die Rippen frei und durchsuchte dann Dr. Benedicts Praxis nach einem sehr scharfen Messer. Ein Osteotom, ein Knochenmeißel, wäre ihm
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