Ange Pitou, Band 1
öffentlichen Wohlthätigkeit überlassen.
Oh! hören Sie doch, Herr Gilbert, erwiderte die alte Jungfer, das ist eine Mehrausgabe von wenigstens sechs Sous täglich, und zwar noch gering gerechnet; denn dieser Junge muß mindestens ein Pfund Brot den Tag essen.
Pitou schnitt ein Gesicht; er aß gewöhnlich anderthalb Pfund nur bei seinem Frühstück.
Abgesehen von der Seife für seine Wäsche, fuhr die Betschwester fort, und ich erinnere mich, daß er erschrecklich verschmutzt.
Pitou verschmutzte allerdings sehr, und das ist begreiflich, wenn man sich des Lebens erinnern will, das er führte; doch man mußte ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen: er zerriß noch viel mehr, als er verschmutzte.
Ah! sagte der Doktor, pfui, Mademoiselle Angelique;Sie, die Sie so sehr die christliche Liebe üben, machen solche Berechnungen bei einem Neffen und Paten!
Abgesehen von der Unterhaltung der Kleider, rief die alte Frömmlerin aus, die sich erinnerte, ihre Schwester Madeleine beständig mit Flickereien und Ausbesserungen an den Wämsern und Hosen ihres Neffen beschäftigt gesehen zu haben.
Sie weigern sich also, Ihren Neffen zu sich zu nehmen? sagte der Doktor; von der Schwelle seiner Tante zurückgestoßen, wird die Waise genötigt sein, Almosen auf der Schwelle fremder Häuser zu fordern.
So habgierig sie auch war, so begriff die Betschwester doch das Gehässige, das ganz natürlich auf sie zurückfallen müßte, wäre ihr Neffe, durch ihre Weigerung, ihn aufzunehmen, genötigt, diese Aeußerste zu ergreifen.
Nein, sagte sie, ich behalte ihn bei mir.
Ah! sprach der Doktor, glücklich, ein gutes Gefühl in diesem Herzen zu finden, das er für vertrocknet hielt.
Ja, fuhr die alte Jungfer fort, ich werde ihn den Augustinern von Bourg-Fontaine empfehlen, und er wird bei ihnen als Laienbruder eintreten.
Der Doktor war, wie gesagt, Philosoph. Man kennt den Wert des Wortes Philosoph in jener Zeit.
Er beschloß daher auf der Stelle, den Augustinern einen Neophyten zu entreißen, und zwar mit demselben Eifer, den die Augustiner ihrerseits angewandt hätten, den Philosophen einen Adepten zu entführen.
Nun wohl! sprach er, indem er die Hand an seine tiefe Tasche drückte, da Sie in einer so schlimmen Lage sind, meine liebe Demoiselle Angelique, da Sie sich in Ermanglung eigener Mittel genötigt sehen, Ihren Neffen der Wohlthätigkeit anderer zu empfehlen, so werde ich jemand suchen, der wirksamer als Sie zum Unterhalt des armen verwaisten Knaben die Summe anzuwenden vermag, die ich für ihn bestimmt habe ... Ich muß nach Amerika zurückkehren und werde vor meinem Abgang Ihren Neffen Pitou in die Lehre bei einem Tischler oder bei einem Stellmacher bringen. Er selbst soll übrigens einenStand nach seiner Neigung wählen. Während meiner Abwesenheit wird er groß werden, und bei meiner Rückkehr wird er schon geschickt in seinem Handwerk sein, und ich werde dann sehen, was sich für ihn thun läßt. Auf, mein Kind, küsse deine Tante und laß uns gehen, fügte der Doktor bei.
Der Doktor hatte noch nicht vollendet, als Pitou schon mit seinen zwei langen Armen auf die Jungfer zustürzte; es drängte ihn in der That sehr, seine Tante zu küssen, unter der Bedingung, daß dieser Kuß zwischen ihm und ihr das Zeichen einer ewigen Trennung wäre.
Doch bei dem Worte die Summe , bei der Gebärde des Doktors, der seine Hand in seine Tasche steckte, beim silbernen Klang, den diese Hand eine Masse von großen Thalern, deren Quantum man nach der Ausdehnung des Rockes berechnen konnte, von sich geben ließ, hatte die alte Jungfer die Hitze der Habgier bis zu ihrem Herzen aufsteigen gefühlt.
Ah! sagte sie, mein lieber Herr Gilbert, Sie wissen eines wohl.
Was? fragte der Doktor.
Ei! mein guter Gott! daß niemand in der Welt das arme Kind so sehr lieben wird, als ich!
Und ihre magern Arme mit den ausgestreckten Armen von Pitou verschlingend, drückte sie auf jede seiner Wangen einen sauren Kuß, der ihn von den Fußspitzen bis zu den Haarwurzeln schauern machte.
Oh! gewiß, sagte der Doktor, ich weiß das wohl, und ich zweifelte so wenig an Ihrer Freundschaft für ihn, daß ich ihn unmittelbar zu Ihnen, als seiner natürlichen Stütze, brachte. Aber was Sie mir soeben sagten, liebe Demoiselle, hat mich zugleich von Ihrem guten Willen und von Ihrem Unvermögen überzeugt und Sie sind, wie ich wohl einsehe, selbst zu arm, um einem noch Aermeren zu helfen.
Ei! mein guter Herr Gilbert, entgegnete die alte Frömmlerin, ist nicht der
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