Angela Merkel - Ein Irrtum
Bundestagswahl 2009 nicht mitgestimmt haben, den 18 Millionen Nichtwählern.
Und ihre Zahl wird zunehmen – es gibt schließlich nicht bei jeder Wahl eine historische Chance.
Aber vielleicht war ja auch das bereits ein Irrtum.
Von der Freiheitskämpferin zur Staatsratsvorsitzenden
Wenn es noch etwas gebraucht hätte, um mich davon zu überzeugen, dass ich mit meiner Kritik an Angela Merkel richtig liege, dann war es ihr Verhalten in der Debatte um Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft sich ab . 5
Keine Sorge: Ich werde auf den folgenden Seiten weder Sarrazins Thesen verteidigen noch widerlegen. Es geht auch nicht um »Das muss man doch mal sagen dürfen«. Ich glaube vielmehr, dass der Umgang mit seinem Buch fast aussagekräftiger ist als das Buch selbst, das auch seine inzwischen eineinhalb Millionen Protestkäufer nicht alle gelesen haben dürften. Doch dass sie es überhaupt gekauft haben, für sich oder als Geschenk, ist ein Wetterleuchten am Horizont. Und das will uns etwas sagen. Auch und gerade – der Kanzlerin.
Dass die üblichen Betroffenen sich entsetzt und empört geben würden, war seit dem Aufschrei über ein Interview mit Sarrazin in »Lettre International« klar. 6 Aber dass sich Angela Merkel an die Spitze der Bewegung setzte, die Sarrazin verdammte, irritierte mich. Sie, die sich über Freiheit »sehr, sehr freuen kann«, die »unter Freiheit immer auch ein Stück Toleranz versteht« 7 , brach den Stab über ein Buch, das sie gar nicht gelesen hatte, von dem sie aber dennoch
wusste, dass es »äußerst verletzend« sei und »überhaupt nicht hilfreich«.
Freiheitskämpferin Angie? Irrtum: Staatsratsvorsitzende Merkel. Und das war richtig peinlich.
Wer wie Angela Merkel in der DDR aufgewachsen ist, hat stets gewusst, was man sagen darf und was nicht. Dass es gefährlich sein kann, etwas anderes als die vorherrschende Meinung zu vertreten. Dass es Tabus und nationale Mythen gibt, an die man besser nicht rührt. Dass es sich nicht schickt, »Der Kaiser ist nackt« zu krähen, wenn einer der Oberen seine unumstößliche Wahrheit verkündet.
So etwas Ähnliches gibt es, zugegeben, auch in Demokratien. Jahrelang etwa hatte man in der Bundesrepublik den Vorzug von Multikulti zu preisen und Zweifel daran zu unterdrücken, dass eine »bunte« Republik auch ein paradiesischer Zustand sei. Man wollte schließlich nicht als rassistisch gelten. Es gehörte sich ebenso wenig, an das Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen nach 1945 zu erinnern, sofern es sich um Deutsche handelte. Das wirkte »revanchistisch«.
Zugegeben, das brachte eine Einebnung des Meinungsspektrums mit sich. Es führte zum Abwandern gewisser Themen in den Untergrund, wo sie von Leuten gepflegt werden, mit denen man nicht gern gesehen wird. Damit waren sie tabu. Zensur, um Himmels willen, ist das natürlich nicht! Es läuft nur auf das Gleiche hinaus.
Angela Merkel aber hatte eine geistig-kulturelle Wende versprochen. Sie schätze klare Worte und die offene Debatte,
hatte sie ein ums andere Mal versichert. Und vielleicht kannte sie die westdeutschen Sensibilitäten nicht in allen Einzelheiten. Die Lebenslügen im Herrschaftsbereich der Sowjetunion aber kannte sie bestens. Ihre Devise: »Ohne Freiheit ist alles nichts.«
Und dann das: die Debatte um ein Buch, das, als der Streit darum losging, noch kaum einer gelesen hatte. Auch Angela Merkel nicht. Aber sie wusste als geübte Hellseherin gleich, was von Thilo Sarrazins Streitschrift zu halten war: »Überhaupt nicht hilfreich.«
Müssen Bücher hilfreich sein? Gewiss, in der DDR hatte Literatur systemkonforme Gedanken zu verbreiten, sonst unterlag sie der Zensur. In der Bundesrepublik wiederum glaubten viele Schriftsteller, sie müssten sich zu Systemkritik selbstverpflichten, was der Literatur nicht diente, aber drüben im real existierenden Sozialismus der DDR gefiel. Von einem Bundeskanzler aber hätten sie sich nicht in die Pflicht nehmen lassen, nur »hilfreiche« Bücher zu schreiben.
Und nun erlaubte sich die Kanzlerin ein Urteil über Wert oder Unwert eines Buchs – wogegen übrigens kaum ein Autor protestierte. Wollte sie mit ihrem Urteil die Opposition beschämen – schließlich ist Thilo Sarrazin Sozialdemokrat? War sie falsch beraten – von jenen, die in ihrem Auftrag die Zeitungen lesen? Oder war die Auskunftsquelle trüb, maßten sich die Medien etwas an, was ihnen nicht zustand?
Das Buch von Thilo Sarrazin hatte Angela Merkel auch drei Wochen
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