Angela Merkel - Ein Irrtum
Bundesbankvorstand könne »schon einiges tun«, ließ er verlauten, »damit die Diskussion Deutschland nicht schadet – vor allem auch international«. 13 Wer wollte solcher
Aufforderung widerstehen, zumal der Bundespräsident die Institution ist, die einen vom Vorstand gefassten Beschluss erst sanktionieren muss?
Also aufgefordert, beantragte der Bundesbankvorstand die Demission des Thilo Sarrazin. Um Schaden vom Lande abzuwenden, nehme ich an.
Die Kanzlerin erwies sich als dankbar und lobte die »völlig unabhängige« Entscheidung der doch soeben vor aller Augen politisch in die Pflicht genommenen Bundesbanker. Sollte das ein Scherz sein?
Die Verhandlungen mit dem Anwalt Thilo Sarrazins über die Art seiner Demission führte das Bundespräsidialamt. Auch das erstaunlich und unüblich. Sarrazin entschloss sich schließlich zum freiwilligen Rückzug aus dem Amt, obwohl er gewiss eine gute Chance gehabt hätte, ein Verfahren zu gewinnen. Der Spötter nannte das einen Akt staatsbürgerlicher Verantwortung. »Wäre ich stur geblieben, hätte das den Bundespräsidenten – weil er sich so weit vorgewagt hatte – und das Staatsamt beschädigt.« Er wolle »niemanden in eine ausweglose Situation treiben«. 14
Wer das Land also vor Schaden bewahrte, waren nicht Kanzlerin und Präsident, sondern der angebliche Nestbeschmutzer Thilo Sarrazin. Angela Merkel und Christian Wulff aber hatten ihren Ämtern, zwei der drei höchsten im Lande, gewaltige Kollateralschäden zugefügt.
»International« wird die Affäre Sarrazin nicht positiv zum Ruf unseres Landes beigetragen haben. Jedenfalls nicht in jenen Ländern, in denen man die Freiheit verteidigt, auch
unerwünschte Meinungen äußern zu dürfen, und standhaft bleibt, wenn andere mit Gewalt drohen, weil sie glauben, dadurch beleidigt worden zu sein. Diejenigen, die von Meinungsfreiheit eh nichts halten und zuvor schon Deutschland und die Deutschen nicht respektiert hatten, taten es jetzt erst recht nicht.
Was trieb Angela Merkel zu dieser Arroganz der Macht, die Frau, die Meinungsfreiheit schätzen gelernt hatte, weil sie in der DDR eben nicht selbstverständlich war? Die Kanzlerin, die mitten im Sarrazin-Streit mit den Worten »Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut« Kurt Westergaard auszeichnete, einen dänischen Zeichner, der mit einer Karikatur des Propheten Mohammed den Zorn gewalttätiger Muslime auf sich gezogen hatte?
Es war wohl nur der heftigen Reaktion der Bürger auf die weitgehende Selbstgleichschaltung der meinungsbildenden Klasse zu verdanken, dass die politische Elite einzulenken begann. 15 Plötzlich waren sie alle einer Meinung: Ja, man müsse endlich über das »Megathema der nächsten Jahre« diskutieren! Und das wäre? »Integration.« Ach so.
Wenn es zu Einsicht nicht reicht, hilft zur Not auch Opportunismus. Was zuvor noch als »unmenschlich« zurückgewiesen wurde, forderte man plötzlich selbst. Eben noch schimpfte man auf Sarrazin, jetzt warf man sich in die Brust und inszenierte sich als noch schärferen Sarrazin, forderte »härtere Strafen« für Integrationsunwillige und drohte mit Ausweisung. Doch das allgemeine Zurückrudern machte die Sache nicht besser. »Die Menschen da
draußen« fanden es offenbar keineswegs vertrauenerweckend, wie forsch die politische Klasse sich wendete, sobald sie Widerstand spürte. Sie hatten das Spiel durchschaut.
Das Spiel heißt »Menschlichkeit« gegen »soziale Kälte«. Tatsächlich ist der Zauberspruch »soziale Wärme gegen soziale Kälte« eine reine Wahlkampfparole, ist der Standardvorwurf »kalte Berechnung«, wenn es ausnahmsweise mal sachlich zugeht, eine schlichte Denunziation. Die SPD-Strategen hatten gegen den Pragmatismus, mit dem Angela Merkel die »neue Mitte« gewinnen wollte, einst das »Projekt Wärmestrom« entwickelt. 16 Denn das kam bislang immer an. Nur diesmal nicht.
Ich habe mich damals mit zwei Kommentaren zu Wort gemeldet, einer wurde von DeutschlandRadio gesendet, der andere in der »Welt am Sonntag« abgedruckt. 17 Ich habe noch nie im Leben derart viele Leserzuschriften, Mails und Briefe erhalten. Den wenigsten ging es dabei um integrationsunwillige Migranten oder Muslime und wie man mit ihnen umzugehen habe. Und nirgendwo war jener Hass zu spüren, der den »islamophoben« Deutschen allenthalben angedichtet wird.
Die meisten störten sich ebenso wie ich an der Verteufelung »kalter« Zahlen und am mangelnden Respekt vor der Meinungsfreiheit. Und an einem
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