Angelfall: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
eine Operation durchgestanden hätte, wäre er vielleicht stark genug, uns beiden standzuhalten. Oder auch nicht. Die Verbände um seinen Bauch müssen von der Schwertwunde stammen, die Raffe ihm vor ein paar Tagen während ihres letzten Kampfes zugefügt hat. Wenn Raffe in Sachen Engelsschwerter recht hat, dann werden Beliels Verletzungen so schnell nicht heilen.
Wieder schwingt mein Schwert zurück und will offensichtlich, dass ich wieder angreife. Beliel starrt mich mit fassungslosen Augen an. Er ist nicht weniger überrascht als die anderen Engel, die gesehen haben, wie ich ihren Kollegen umgebracht habe. Ein Engelsschwert ist nicht für die Hände eines Menschenmädchens gedacht. So etwas passiert einfach nicht.
Raffe springt auf und attackiert Beliel.
Voller Ehrfurcht schaue ich zu, wie Raffe Beliel mit so rasenden Schlägen traktiert, dass sie fast schon vor meinen Augen verschwimmen. Die Kraft der Emotionen, die sich hinter diesem Ausbruch verbirgt, ist immens. Zum ersten Mal hält er sich nicht damit auf, seinen Frust, seine Wut oder die Sehnsucht nach seinen verlorenen Flügeln zu verstecken.
Als Beliel unter den Schlägen erneut ins Taumeln gerät, packt Raffe seinen alten Flügel und zieht daran. Die Nähte platzen auf und lösen sich aus Beliels Rücken. Neues Blut besudelt seine einst schneeweißen Schwingen. Raffe scheint finster entschlossen, sie sich zurückzuholen, selbst wenn er sie Stich für Stich aus Beliels Fleisch herausreißen muss.
Mit beiden Händen umfasse ich Raffes Schwert. Wobei, ich schätze, jetzt ist es mein Schwert. Solange es ihn mit den neuen Flügeln ablehnt, bin ich die Einzige, die es benutzen kann.
Entschlossen nähere ich mich Raffe und Beliel, bereit, Raffes Flügel von Beliels Rücken abzutrennen.
Da packt mich etwas am Fußgelenk und zerrt von hinten an mir. Etwas Schleimiges mit einem eisernen Griff.
Meine Füße rutschen auf dem nassen Untergrund weg, und ich krache auf den Betonboden. Das Schwert schlittert mir aus der Hand. Meine Lungen krampfen sich bei dem Aufprall so heftig zusammen, dass ich glaube, ohnmächtig zu werden.
Mit einiger Anstrengung gelingt es mir schließlich, den Kopf nach hinten zu wenden, um zu sehen, was mich da gepackt hat.
Ich wünschte, ich hätte es nicht getan.
42
Hinter mir öffnet ein muskelbepackter Skorpionfötus seine Kiefer und entblößt eine Reihe Piranhazähne.
Unter seiner noch unentwickelten Haut zeichnen sich Adern und die Schatten seiner Muskeln ab. Der Fötus liegt auf dem Bauch, er ist den ganzen Weg von seinem zerschmet terten Behälter zu mir gekrochen.
Sein tödlicher Stachel fährt nach oben über seinen Rücken und zielt auf mein Gesicht.
Ein Bild von Paige und meiner Mutter schießt mir durch den Kopf, wie sie durch die Nacht irren. Allein. Verängstigt. Und sich fragen, ob ich sie verlassen habe.
»Nein!« Der Schrei entfährt mir, als ich mich unnatürlich verdrehe, um dem heranrasenden Stachel auszuweichen. Die Spitze verfehlt nur knapp mein Gesicht.
Bevor ich auch nur Luft holen kann, peitscht sie nach oben und wieder nach unten. Diesmal habe ich keine Zeit, mich zu wappnen, als der Stachel auch schon wieder auf mich zugeschossen kommt.
»Nein!« Raffe brüllt.
Es fühlt sich wie eine unfassbar lange Nadel an, die sich in mein Fleisch bohrt.
Dann beginnt die wahre Pein.
Ein brennender, unerträglicher Schmerz breitet sich seitlich über meinen Hals aus. Es ist, als würde ich von innen in Stücke gerissen. Mein Atem geht stoßweise, und auf meiner Haut bildet sich Schweiß.
Ein gequälter Schrei entringt sich meiner Kehle, und meine Beine treten in wilden Pumpbewegungen um sich.
Nichts davon hält den Skorpion auf seinem Weg zu mir auf. Im Näherkommen öffnet sich sein Maul, bereit, mir den tödlichen Kuss zu geben.
Unsere Blicke treffen sich, als er mich an sich zieht. Ich sehe ihm an, dass er denkt, wenn er mich aussaugt, wird er außerhalb seiner künstlichen Gebärmutter überleben. Seine Verzweiflung offenbart sich in seinem Griff, in der Art, wie er sein Maul öffnet und schließt, als wäre er ein Fisch, der zu atmen versucht. In der Art, wie er seine geäderten L ider schließt, als wäre das grelle Licht zu viel für seine unentwickelten Augen.
Sein Gift verbreitet sich in qualvollen Schwaden über mein Gesicht bis hinunter in meine Brust. Ich versuche, den Skorpionengel wegzustoßen, doch ich schaffe es lediglich, ihn schwach anzustupsen.
Meine Muskeln beginnen zu
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