Angelika Mann - Was treibt mich nur?: Autobiografie (German Edition)
Staatsbürgerschaft. Mit zwölf Jahren schickten sie Arthur zu seinem Halbbruder in die damaligen Hauptstadt Sankt Petersburg. Dort sollte er das Uhrmacherhandwerk erlernen. Das gefiel ihm nicht, und so wechselte er in die kaufmännische Lehre und stieg dann noch vor dem Ersten Weltkrieg bis zu dem angesehenen Posten eines Prokuristen auf. Seine Wehrpflicht absolvierte er bei einem ostpreußischen Artillerie-Regiment.
Meine Großmutter Maria Isaijewna Kamenitschnaja hatte er bereits vor dem Krieg kennengelernt. Sie wuchs in einer liberal-jüdischen Akademikerfamilie auf. Ihr Vater Isaj leitete in Sankt Petersburg eine Apotheke. Ihre Mutter Berta, meine Urgroßmutter, war Deutsch-Lehrerin und stammte aus einer Juristenfamilie aus Weißrussland. Sie hatte drei Kinder: meine Oma, ihre ältere Schwester Jelisaweta und einen jüngeren Bruder Pjotr, der – so wurde es in der Familie erzählt – 1929 bei einem terroristischen Anschlag auf eine Straßenbahn umgekommen sein soll.
Meine Oma wurde am 2. November 1893 im ukrainischen Jekaterinoslav – angeblich auf einer Reise – geboren, wuchs dann in Sankt Petersburg auf und besuchte dort ein Lyzeum, eine Mädchenschule. Offenbar lernte sie gut und leicht, denn zum Schulabschluss wurde sie mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, worauf sie sehr stolz war. Anschließend studierte sie am Zweiten Medizinischen Institut in Sankt Petersburg. So etwas war für Frauen zu dieser Zeit in Russland nicht unbedingt üblich.
Als junge Ärztin ging Maria 1915 pflichtgemäß als Assistentin nach Nikolsk, einer Kleinstadt in der Region vor dem Ural. Im nahen Wologda praktizierte zu der Zeit einihrer Familie bekannter jüdischer Arzt aus Sankt Petersburg. Dort, bei Dr. Ullmann sahen sich meine Großeltern zum ersten Mal, und eigentlich begann schon damals ihre gemeinsame Geschichte.
Nach Februar- und Oktoberrevolution lebten und arbeiteten sie noch bis 1920 in Petrograd, der Stadt mit dem inzwischen neuen Namen.
Oma fuhr als Militärärztin mit der Roten Armee im Sanitätswagen mit und steckte sich während dieser Zeit mit Scharlach und Fleckfieber an. Opa versuchte damals als Einkäufer beim Konsumverband aus den ukrainischen und weißrussischen Korngebieten Getreide für die Lebensmittelversorgung der russischen Bevölkerung aufzukaufen. Sie litten entsetzlichen Hunger. Wie das in jener Zeit dort zuging, kann man in der russischen zeitgenössischen Literatur bei Scholochow, Tolstoi oder Ostrowski nachlesen.
Die Großeltern hatten 1920 in Petrograd geheiratet und waren nun beide deutsche Staatsangehörige. Das erlaubte ihnen, zu einer Cousine meines Großvaters nach Deutschland auszureisen. Diese Kusine Frida war eine rechte Lebedame mit großer Wohnung im vornehmen Berliner Altwesten, einem Hundezwinger mit 14 Pekinesen und einem Freund, Bankier Katzenellenbogen, der über ausreichend Geldmittel und Beziehungen verfügte. Mit dessen Hilfe fand mein Opa nach relativ kurzer Zeit eine Position als Filialdirektor der Ostdeutschen Bank in Eydtkuhnen an der litauischen Grenze. Damals hatten sich die Beziehungen zu Sowjetrussland gerade etwas entkrampft. Da die Muttersprache meines Opas Russisch war, passte alles ausgezeichnet zusammen. Die gesamte Familie, meine Großeltern mit ihrem Sohn, meinem späteren Vater, zog nach Eydtkuhnen.
An dieser Stelle mache ich einen Schnitt, denn hier brechen die Aufzeichnungen meines Vaters ab. Ich aber habe selbst eine sehr lebendige Vorstellung von meinem geliebten Opa Arthur und vertraue ab jetzt auf meine eigenen Erinnerungen.
Mein Großvater Arthur Mann und meine Großmutter Maria Kamenitschnaja Mann
Ich mit meinem Opa Arthur Mann
Meinen Opa mütterlicherseits habe ich nie kennengelernt. Er lebte in Arnstadt in Thüringen, war Holzhändler und hieß sinnigerweise Karl Holz. Karl hatte aus seiner ersten Ehe drei Kinder. In zweiter Ehe war er mit meiner Oma Rosa verheiratet. Auch mit ihr hatte er drei Kinder, drei Mädchen.
Der Familie ging es gut. Karl Holz war wohlhabend, ihm gehörten in Arnstadt ganze Straßenzüge. Dummerweise hielt er sich für unsterblich und machte nie ein Testament. Als er dann unverhofft an einem Herzanfall starb, begannen für seine zweite Frau schwere Zeiten. Ein Großteil des Erbes ging an die Kinder aus erster Ehe.Die waren zwar eigentlich schon ausbezahlt worden, aber Oma Rosa konnte sich nicht wehren. Ab dem Zeitpunkt war sie allein mit ihren drei Töchtern und musste von dem leben, was übrig geblieben war. Zum
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