Angelique und der Koenig
gegenüber freigebig gewesen sein... Und Ihr hattet nichts geahnt, nichts gehört …? Ihr seid früher hellhöriger gewesen, meine Liebe!«
Ein heftiger Stoß schüttelte die Insassen der Kutsche. Javotte, die kleine Zofe, die auf dem unbequemen Klappsitz ihrer Herrin gegenüber saß, wurde nach vorn geschleudert und zerdrückte die Schleife aus Goldstoff, mit der Angélique ihre Reitpeitsche am Gürtel befestigt hatte. Die Schleife löste sich auf, und Angélique ohrfeigte das Mädchen in ihrer Verärgerung, worauf die Kleine heulend ihren Platz wieder einnahm. Am liebsten wäre Angélique mit Léonide de Parajonc ebenso verfahren. Sie wusste, dass diese sich angesichts ihres Verdrusses ins Fäustchen lachte. Aber sie hatte sich in ihrer Verzweiflung über Philippes unqualifizierbaren Streich ja selbst an die alte Preziöse gewandt, an die Nachbarin und Halbvertraute ihrer Kümmernisse, weil ihr nichts anderes übrig geblieben war, als sich deren Kutsche auszuborgen. Madame de Sévigné war auf dem Land. Ninon de Lenclos hätte ihr sicherlich ausgeholfen, aber ihr Ruf als große Kurtisane schloss sie vom Hofe aus, und ihre Kutsche wäre allzu leicht erkannt worden. Was Angéliques sonstige Pariser Bekannten betraf, so waren jene Damen heute ebenfalls in Versailles oder sie waren es nicht, und im letzteren Falle durfte man von ihrem neidischen Groll nichts erhoffen. Blieb nur Mademoiselle de Parajonc.
Doch Angélique hatte, fiebernd vor Ungeduld, warten müssen, bis die höchst aufgeregte alte Jungfer ihr schönstes, grotesk unmodernes Staatskleid angelegt, die Dienerin die Haare ihrer schönsten Perücke entwirrt, der Kutscher seine Livree gesäubert und den Lack des schäbigen Gefährts aufpoliert hatte. Endlich hatte man sich auf den Weg gemacht. Und auf was für einen Weg …!
»Dieser Weg! Dieser Weg!« stöhnte sie und bemühte sich immer wieder, eine Lichtung im engen Tunnel der mächtig aufragenden Bäume zu entdecken.
»Es hat keinen Sinn, Euch in Ungeduld zu verzehren«, sagte Mademoiselle de Parajonc schulmeisterlich. »Ihr verderbt Euch nur den Teint. Und das wäre schade. Diese Straße ist nun mal nicht anders. Diesbezüglich müsst Ihr Euch an den König halten, da es ihm beliebt, uns in einer solchen Gegend durch den Schlamm patschen zu lassen. Früher sollen hier nur Ochsenherden durchgezogen sein, die aus der Normandie kamen. Unser König Ludwig XIII. hochselig kam zwar auch zur Jagd hierher, aber er wäre nicht auf den Gedanken verfallen, die ganze Blüte seines Hofs mitzuschleppen. Ludwig der Ehrbare war ein schlichter und vernünftiger Mensch.«
Sie wurde durch ein Krachen unterbrochen, dem fürchterliche Stoße folgten, während die Kutsche sich zur Seite neigte und die drei Reisenden in dem engen Gehäuse übereinanderpurzelten.
Angélique lag zuunterst und dachte verzweifelt an ihr schönes Amazonengewand, das durch die doppelte Last Mademoiselle de Parajoncs und Javottes gefährdet wurde. Dennoch wagte sie kaum eine Bewegung, um sich zu befreien, denn die Fensterscheibe war zerbrochen, und sie lief Gefahr, sich zu schneiden und womöglich noch mit Blut zu beschmieren – das hätte gerade noch gefehlt! Der obere Wagenschlag tat sich auf, und der kleine Lakai Flipot beugte sein Spitzbubengesicht über sie.
»Alle Knochen heil, Marquise?« keuchte er.
Angélique war nicht in der Verfassung, ihn zu einer korrekteren Ausdrucksweise zu ermahnen.
»Und die alte Bastei? Hat sie standgehalten?«
»Sie hat standgehalten«, erwiderte Léonide, die nichts so sehr liebte wie aufregende Abenteuer, einigermaßen munter.
»Gib mir deine Hand, Frechdachs, und hilf mir heraus.«
Flipot hievte sie unter Aufbietung aller Kräfte hoch. Dank der Unterstützung des Kutschers, dem es gelungen war, die Pferde zu beruhigen und auszuspannen, standen die beiden Frauen und die kleine Zofe bald wieder auf den Beinen. Nicht einmal eine Schramme hatten sie abbekommen, aber die Situation blieb nichtsdestoweniger kläglich und verzweifelt.
Angélique versagte es sich, in Verwünschungen auszubrechen. Wozu hätte ihr Zorn auch geführt? Ohnehin war alles aus. Der König würde ihr neuerliches Ausbleiben nicht verzeihen. Sollte sie ihm schreiben oder sich ihm zu Füßen werfen? Und was als Grund anführen? Einen Unfall? Schließlich war es die Wahrheit, aber sie würde zu sehr nach einer lahmen Ausrede klingen, da man sich in solchen Fällen meistens auf dergleichen berief.
Sie setzte sich auf einen Baumstumpf und versank so
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