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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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keinen Fall Verdacht schöpfen. Vielleicht wird Babette, wenn sie erst die Frau des Ministerpräsidenten ist, Suppe in einem Obdachlosenasyl austeilen. Aber eine einzige Obdachlose ist ihr genauso egal wie mir.«
    Ich bewegte meine Hände. Ich bewegte meine Hände so, dass ich sie aus den Händen meiner Frau löste und nun ihre umfasste.
    »Das ist keine gute Idee«, sagte ich.
    »Paul …«
    »Nein, hör zu. Ich bin ich. Ich bin, der ich bin. Ich habe meine Medizin nicht genommen. Vorläufig wissen nur du und ich das. Doch so etwas fliegt auf. Sie werden herumschnüffeln und dann kommen sie dahinter. Der Schulpsychologe, meine Entlassung, und dann noch der Rektor von Michels Schule … Es liegt alles offen da. Ganz zu schweigen von meinem Bruder. Mein Bruder wird der Erste sein, der verkündet, dass ihn das alles eigentlich gar nicht sonderlich wundert. Vielleicht wird er es nicht laut sagen, aber er ist bereits zuvor von seinem kleinen Bruder bedroht worden. Sein kleiner Bruder, der etwas hat, weswegen er Medikamente einnehmen muss. Medikamente, die er dann ins Klo wirft.«
    Claire sagte nichts.
    »Ich kann ihn von nichts abhalten, Claire. Das wäre das falsche Signal.«
    Ich wartete einen Moment, ich wollte nicht mit den Augenlidern zucken.
    »Es ist das falsche Signal, wenn ich es tue«, sagte ich.

[Menü]
    44
    Ungefähr fünf Minuten nach Claires Aufbruch hörte ich erneut einen Piepston unter Babettes Serviette.
    Wir waren beide gleichzeitig aufgestanden. Meine Frau und ich. Ich hatte sie in den Arm genommen und sie an mich gedrückt, mein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Ganz langsam und geräuschlos hatte ich durch die Nase eingeatmet.
    Danach hatte ich mich wieder gesetzt. Ich hatte meiner Frau nachgeschaut, bis sie irgendwann auf Höhe des Stehpults außer Sicht geraten war.
    Ich nahm Babettes Handy, klappte es auf und sah aufs Display.
    »2 empfangene Nachrichten«. Ich drückte auf ZEIGEN. Die erste war eine SMS von Beau. Nur ein einziges Wort. Ein einziges Wort ohne großen Anfangsbuchstaben und ohne Punkt: »mama«.
    Ich drückte auf LÖSCHEN.
    Die zweite Nachricht zeigte an, dass eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen wurde.
    Babette war bei dem Anbieter KPN. Ich wusste nicht, welche Nummer man dort für die Mailboxabfrage wählen musste. Auf gut Glück suchte ich in der Adressliste und fand unter M die Mailbox. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
    Nachdem die Mailboxstimme den Eingang einer neuen Nachricht angekündigt hatte, hörte ich Beaus Stimme.
    Ich hörte zu. Währenddessen schloss ich einmal kurz die Augen und öffnete sie danach wieder. Ich klappte den Deckel runter. Ich legte Babettes Handy nicht wieder zurück auf den Tisch, sondern steckte es ein.
    »Ihr Sohn mag solche Restaurants offenbar nicht so gerne?«
    Ich bekam einen derartigen Schrecken, dass ich von meinem Stuhl hochschnellte.
    »Verzeihen Sie bitte«, sagte der Maître d’hôtel. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber ich habe gesehen, wie Sie sich draußen mit Ihrem Sohn unterhalten haben. Ich gehe zumindest einmal davon aus, dass er Ihr Sohn war.«
    Für einen Moment hatte ich keinen blassen Schimmer, wovon er eigentlich sprach. Doch gleich darauf schon.
    Der rauchende Mann. Der rauchende Mann vor dem Restaurant. Der Maître d’hôtel hatte Michel und mich heute Abend im Garten gesehen.
    Ich spürte keine Panik – genau besehen spürte ich überhaupt nichts.
    Erst jetzt sah ich, dass der Maître d’hôtel ein Schälchen in der Hand hielt, ein Schälchen mit einer Rechnung.
    »Herr Lohman vergaß die Rechnung mitzunehmen«, sagte er. »Also wollte ich sie Ihnen bringen. Vielleicht sehen Sie ihn ja demnächst.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Ich habe Sie da mit Ihrem Sohn gesehen«, schwatzte der Maître d’hôtel, »es lag an Ihrer Körperhaltung, der Körperhaltung von Ihnen beiden, sollte ich sagen, sie war fast identisch. Das können nur Vater und Sohn sein, dachte ich da.«
    Ich senkte den Blick und ließ ihn auf dem Schälchen ruhen, dem Schälchen mit der Rechnung. Worauf wartete er noch? Warum ging er nicht weg, anstatt über Körperhaltungen zu plaudern?
    »Ja«, sagte ich erneut; es sollte nicht als Bestätigung für dieVermutungen des Maître d’hôtel gemeint sein, höchstens als höfliche Ausfüllung der Stille. Sonst hatte ich sowieso nichts weiter zu sagen.
    »Ich habe auch einen Sohn«, erzählte der Maître d’hôtel. »Er ist erst vier. Und dennoch überrascht es mich manchmal, wie stark er

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