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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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worden war, aber auch das Krankenhaus, in dem Michel geboren war.
    »Fruchtwasseruntersuchung«, stand in Großbuchstaben oben auf dem Blatt, das ich aus dem Umschlag herauszog. Kurz darunter befanden sich zwei Kästchen, eins mit »Junge« und eins mit »Mädchen«.
    Das Kästchen mit »Junge« war angekreuzt.
    Claire hatte gewusst, dass wir einen Jungen bekommen würden, war das Erste, was mir blitzartig durch den Kopf ging. Aber sie hatte es mir nie erzählt. Noch ärger: Bis zum letzten Tag vor der Geburt hatten wir über Mädchennamen fantasiert. Bei einem Jungennamen waren wir uns sicher gewesen, der stand schon Jahre, bevor Claire schwanger wurde, als »Michel« fest. Doch bei einem Mädchen hatten wir noch zwischen »Laura« und »Julia« geschwankt.
    Auf dem Blatt standen noch mehrere handschriftlich notierte Zahlen. Auch las ich mehrmals das Wort »Gut«.
    Unten auf dem Blatt gab es einen Kasten in der Größe von ungefähr fünf mal drei Zentimeter mit der Überschrift »Besonderheiten«. Dieser Kasten war komplett ausgefüllt, in derselben, allerdings unleserlichen Handschrift, die auch die Zahlen aufgeschrieben und das Kreuz bei dem Kästchen mit »Junge« gemacht hatte.
    Ich begann zu lesen. Und hörte sofort wieder auf.
    Diesmal war es nicht so, dass ich das Gefühl hatte, hier kein Recht drauf zu haben.
    Nein, es war etwas anderes. Muss ich das hier wissen?, dachte ich. Will ich das hier wissen? Macht es uns als Familie glücklicher?
    Unter dem Kasten mit dem handschriftlich geschriebenen Text befanden sich noch zwei kleinere Kästchen. »Entscheidung Arzt/Krankenhaus« stand neben dem einen Kästchen, und »Entscheidung Eltern« neben dem anderen.
    Das Kästchen »Entscheidung Eltern« war angekreuzt.
    Entscheidung Eltern. Dort stand nicht »Entscheidung Elternteil« oder »Entscheidung Mutter«. Dort stand »Entscheidung Eltern«.
    Das sind zwei Worte, die ich von nun an mit mir tragen werde, dachte ich, als ich das Blatt zurück in den Umschlag steckte und den Brief wieder unter den abgelaufenen Parkausweis zurücklegte.
    »Entscheidung Eltern«, sagte ich laut, als ich die Schublade zuschob.
    Nach seiner Geburt sagten alle, inklusive Claires Eltern und der unmittelbaren Verwandtschaft, dass Michel mir wie aus dem Gesicht geschnitten sei. »Eine Kopie!«, riefen die Besucher, sobald Michel im Wochenbettzimmer aus der Wiege gehoben wurde.
    Und auch Claire hatte lachen müssen. Die Ähnlichkeit war so stark, dass sie nicht abgestritten werden konnte. Später glich sich das noch ein wenig an. Erst als er älter wurde, konnte man mit viel Mühe und gutem Willen bei ihm gewisse Gesichtszüge seiner Mutter erkennen. Vor allem die Augen, und die Partie zwischen Oberlippe und Nase.
    Eine Kopie. Nachdem ich die Schublade wieder zugeschoben hatte, hörte ich den Anrufbeantworter ab.
    »Hallo, mein Lieber!«, hörte ich die Stimme meiner Frau sagen. »Wie geht es dir? Langweilst du dich nicht?« Während der nun folgenden Stille waren deutlich die Geräusche aus dem Restaurant zu hören: menschliches Stimmengewirr, ein Teller, der auf einen anderen Teller gestellt wurde. »Nein, wir trinken nur noch einen Kaffee, in einer knappen Stunde sind wir wieder daheim. Du hast also noch Zeit, die Unordnung aufzuräumen. Was hast du denn gegessen …?«
    Erneut Stille. »Ja …« Stille. »Nein …« Stille. »Ja.«
    Ich kannte das Wahlprogramm unseres Anrufbeantworters. Wenn man die Drei drückte, wurde die Nachricht gelöscht. Mein Daumen befand sich bereits auf der Drei.
    »Bis später, mein Lieber, einen Kuss.«
    Ich drückte.
    Eine halbe Stunde darauf kam Michel nach Hause. Er gab mir einen Kuss auf die Wange und fragte, wo Mama sei. Ich sagte, sie würde etwas später kommen, ich würde ihm das gleich erklären. Die Knöchel an Michels linker Hand waren aufgeschabt, bemerkte ich. Er war Linkshänder wie ich auch.Auf seinem Handrücken war ein Streifen aus geronnenem Blut. Erst jetzt betrachtete ich ihn von Kopf bis Fuß. Auch an der linken Augenbraue sah ich Blut, an der Jacke klebte angetrockneter Matsch, an den weißen Sportschuhen noch mehr Matsch.
    Ich fragte ihn, wie es gewesen sei.
    Und er erzählte es mir. Er erzählte mir, dass Men in Black III bei YouTube rausgenommen worden sei.
    Wir standen noch immer im Flur. Irgendwann, mitten in seinem Bericht, hielt Michel inne und sah mich an.
    »Papa!«, sagte er.
    »Was? Was ist denn?«
    »Jetzt tust du es schon wieder!«
    »Was?«
    »Du stehst da und lachst!

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