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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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Wahlsieg verhelfen. Auch wenn dieser Kopf mit faulen Eiern beschmissen würde, hatte dieses Lächeln intakt zu bleiben. Durch die klebrigen Spuren der Sahnetorte hindurch, die ihm ein verärgerter Kampagnenführer ins Gesicht gedrückt hatte, musste für die Wähler als Erstes das Lächeln zu erkennen sein.
    »Hallo Serge«, sagte ich. »Alles in Ordnung?«
    Hinter den Schultern meines Bruders hatte Claire sich inzwischen Babette zugewandt. Sie küssten sich zur Begrüßung – genauer gesagt: meine Frau küsste die Wangen ihrer Schwägerin –, sie umarmten sich und schauten sich dann in die Augen.
    Sah Claire dasselbe wie ich? Sah sie dieselbe rot umrandeteVerzweiflung hinter den getönten Gläsern? Doch genau in diesem Moment lachte Babette lauthals, und ich bekam gerade noch mit, wie sie in die Luft neben Claires Wange küsste.
    Wir setzten uns. Serge schräg gegenüber von mir, an der Seite meiner Frau, während Babette sich auf den Stuhl neben mir niederließ, der Maître d’hôtel war ihr dabei behilflich. Eines der schwarzen Bistroschürzenmädchen assistierte Serge, der, bevor er sich auf den Stuhl sacken ließ, mit einer Hand in der Hosentasche noch kurz stehen blieb und das ganze Restaurant in Augenschein nahm.
    »Der Aperitif des Hauses ist heute ein Champagner rosé«, sagte der Maître d’hôtel.
    Ich holte tief Luft, offenbar zu tief, denn meine Frau sah mich mit einem vielsagenden Blick an. Sie rollte fast nie die Augen oder fing plötzlich an zu hüsteln, und sie trat mir erst recht nicht unterm Tisch gegen das Schienbein, um mich zu warnen, falls ich kurz davor war, mich lächerlich zu machen, oder es bereits passiert war.
    Nein, es war etwas ganz Subtiles in ihren Augen, eine Veränderung des Blicks, für Außenstehende nicht wahrnehmbar, etwas zwischen Spott und Ernst.
    »Lass das«, sagte der Blick.
    »Mmmmm, Champagner«, sagte Babette.
    »Na, klingt gut«, sagte Serge.
    »Warte mal«, sagte ich.

[Menü]
    8
    »Die Flusskrebse werden von einer Vinaigrette aus Estragon und Frühlingszwiebeln umspielt«, sagte der Maître d’hôtel, er war bei Serges Teller angekommen und wies mit dem kleinen Finger. »Hier haben wir Pfifferlinge aus den Vogesen.« Der kleine Finger hüpfte über die Flusskrebse hinweg, um auf zwei längs halbierte braune Pilze zu deuten. Es hatte den Anschein, als seien die Pfifferlinge vor ein paar Minuten aus dem Boden gezogen worden, denn am unteren Teil des Stiels hing etwas, das nur Erde sein konnte.
    Es handelte sich um eine gepflegte Hand, hatte ich inzwischen feststellen können, als der Maître d’hôtel die von Serge bestellte Flasche Chablis entkorkte. Entgegen meiner früheren Vermutung gab es nichts zu verbergen: akkurate Nagelhaut ohne Hautfetzen, kurz geschnittene Nägel, keine Ränder – er sah sauber und gewaschen aus, nirgends waren Spuren einer Krankheit auszumachen. Und dennoch fand ich, dass sich die Hand, dafür, dass es sich um die Hand eines Fremden handelte, zu sehr dem Essen näherte, sie schwebte nur ein paar Zentimeter über den Flusskrebsen, der kleine Finger war noch näher dran und berührte fast die Pfifferlinge.
    Ich war mir nicht sicher, ob ich gleich die Hand und den kleinen Finger über meinem Teller ertragen würde, doch für die allgemeine Stimmung am Tisch wäre es besser, ich hielte mich zurück.
    Ja, das würde ich tun, entschloss ich mich in dem Moment, ich würde mich zurückhalten. Ich würde mich zurückhalten, wie man unter Wasser die Luft anhält, und einfach so tun, als sei eine wildfremde Hand über meinem Teller die normalste Sache der Welt.
    Doch da gab es noch etwas anderes, das mir allmählich ziemlich auf die Nerven ging, und zwar die Zeit, die bei dem ganzen Getue draufging. Bereits mit dem Chablis hatte der Maître d’hôtel sich Zeit gelassen. Zuerst mit dem Platzieren des Weinkühlers – so ein Modell, das mit zwei Haken an den Tisch gehängt wird, wie ein Kinderstuhl –, danach mit der Präsentation der Weinflasche, dem Etikett. Natürlich zeigte er es Serge. Serge hatte den Wein ausgesucht, zwar mit unserer Zustimmung, aber dennoch ärgerte mich diese Ich-habe-Ahnung-von-Wein-Haltung maßlos.
    Ich weiß nicht mehr genau, wann er sich selbst zum Weinkenner erkoren hatte, ich weiß nur, dass es ziemlich plötzlich gewesen war. Vom einen auf den anderen Tag war er derjenige gewesen, der als Erster nach der Weinkarte gegriffen und etwas von »erdigem Abgang« portugiesischer Weine aus dem Gebiet des Alentejo

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