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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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vierundvierzig. Zudem gab es noch drei Menüs zur Auswahl, zu siebenundvierzig, achtundfünfzig und neunundsiebzig.
    »Hier haben wir warmen Ziegenkäse mit Pinienkernen und Walnussflocken.« Die Hand mit dem kleinen Finger befand sich über meinem Teller. Ich unterdrückte die Versuchung zu sagen: »Das weiß ich, denn genau das habe ich bestellt«, und konzentrierte mich auf den kleinen Finger. Näher als jetzt warer mir an diesem Abend noch nicht gekommen, auch nicht beim Einschenken des Weins. Der Maître d’hôtel hatte schließlich den Weg des geringsten Widerstandes gewählt und war aus der Küche mit einer neuen Weinflasche zurückgekehrt, aus der der Korken bereits halb herausragte.
    Auf den Weinkeller und die Reise ins Loiretal folgte dann das sechswöchige Weinseminar. Nicht in Frankreich, sondern in einem freien Klassenzimmer der Abendschule. Das Diplom hatte er im Flur seines Hauses für jeden gut sichtbar aufgehängt. Eine Flasche, aus der der Korken bereits herausragte, konnte auch etwas ganz anderes beinhalten als auf dem Etikett beschrieben, sollte er während einer der ersten Stunden im Klassenzimmer gelernt haben. Der Wein konnte gepanscht sein, Böswillige konnten den Wein mit Wasser verlängert oder ihn mit einer Ladung Spucke angereichert haben.
    Aber nach dem Aperitif des Hauses und dem abgebrochenen Korken stand Serge Lohman offenbar nicht der Sinn nach noch mehr Theater. Ohne den Maître d’hôtel anzuschauen, hatte er sich mit der Serviette den Mund abgewischt und gemurmelt, der Wein sei »ausgezeichnet«.
    In dem Moment hatte ich schnell einen kurzen Blick zur Seite geworfen, zu Babette. Ihre Augen hinter den getönten Gläsern waren auf ihren Ehemann gerichtet. Es war kaum wahrnehmbar, aber ich wusste, dass sie eine Augenbraue hochzog, als er sein Urteil über den bereits geöffneten Wein verkündete. Im Auto, auf dem Weg ins Restaurant, hatte er sie zum Weinen gebracht, doch inzwischen sahen ihre Augen nicht mehr so verquollen aus. Ich hoffte, sie würde etwas sagen, es ihm heimzahlen. Das konnte sie ziemlich gut, Babette war bekannt für ihren Sarkasmus. »Er ist im Loiretal und verkostet Wein«, war noch die mildeste Form davon.
    Innerlich ermunterte ich sie. Jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. Genau betrachtet wäre es vielleicht am besten, es käme, noch bevor wir zum Hauptgangübergingen, zwischen Serge und Babette zu einem heftigen, komplett außer Kontrolle geratenen Streit. Ich würde beschwichtigende Worte sprechen, ich würde vorgeben unparteiisch zu sein, doch sie würde sich meiner Unterstützung sicher sein können.
    Zu meinem Bedauern schwieg Babette. Es war nahezu sichtbar, wie sie die zweifellos vernichtende Bemerkung über den Korken hinunterschluckte. Und dennoch war etwas geschehen, das meine Hoffnung auf eine Explosion am späteren Abend nährte. Es war wie mit der Pistole bei einem Theaterstück: Wird im ersten Akt eine Pistole gezeigt, kann man Gift darauf nehmen, dass im letzten Akt auch damit geschossen wird. Das ist das Gesetz des Dramas. Nach diesem Gesetz darf sogar keine Pistole gezeigt werden, wenn damit nicht auch geschossen wird.
    »Hier haben wir Feldsalat«, sagte der Maître d’hôtel; ich schaute auf den kleinen Finger, nur knapp einen Zentimeter von den drei oder vier sich kräuselnden grünen Blättchen und dem Ziegenkäseklumpen entfernt, und dann auf die ganze Hand, die so nahe war, dass ich mich nur etwas hätte vorbeugen müssen, um sie zu küssen.
    Warum hatte ich dieses Gericht bestellt, wenn ich doch keinen Ziegenkäse esse? Ganz zu schweigen von Feldsalat. Diesmal arbeiteten die kleinen Portionen für mich, denn auch mein Teller war überwiegend leer, wenn auch nicht so leer wie der von Claire. Ich könnte die drei Blättchen in einem Bissen hinunterschlucken – oder sie einfach liegen lassen, was im Prinzip auf dasselbe hinauslief.
    Bei Feldsalat musste ich immer an den Hamster oder das Meerschweinchen auf der Fensterbank im Klassenzimmer unserer Grundschule denken. Vermutlich sollten wir dabei lernen, dass und wie man sich um Tiere kümmert. Ob die Blättchen, die wir morgens durch die Gitter in den Käfig schoben, auch Feldsalat waren, weiß ich nicht mehr, sie sahenjedenfalls so aus. Der Hamster oder das Meerschweinchen nagten mit ihren flinken Zähnchen auf dem Salatblatt herum und saßen den Rest des Tages ruhig in einer Ecke des Käfigs. Eines Morgens waren sie dann tot, genau wie die Schildkröte, die

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