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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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hinauf zur gläsernen Decke reichte. Weiter hinten mussten irgendwo noch ein paar Bäume stehen, dochdie waren aufgrund der eintretenden Dämmerung und der Spiegelungen auf dem Glas nicht mehr auszumachen.
    So etwas genügt ihr: das und der Blick auf mein Gesicht.
    »Heute Abend nicht«, sagte ich. Heute Abend will ich nur dich sehen, hätte ich noch gerne hinzugefügt, aber ich hatte keine Lust, das laut zu sagen, im Beisein des Maître d’hôtel im gestreiften Dreiteiler.
    Abgesehen davon, dass ich mich an diesem Abend an das vertraute Gesicht meiner Frau klammern wollte, gab es den nicht unwichtigen Grund, dass ich so das Eintreffen meines Bruders nicht mit ansehen musste: den Wirbel am Eingang, das zweifellos lakaienhafte Verhalten des Maître d’hôtel und der Bistroschürzenmädels, die Reaktionen der Gäste – aber als der Moment dann eintrat, drehte ich mich doch halb auf meinen Stuhl um.
    Natürlich wurde das Eintreffen des Ehepaars Lohman von allen bemerkt. Es entstand sogar ein leiser Tumult in der Nähe des Stehpults: Nicht weniger als drei Mädchen mit schwarzen Bistroschürzen bemühten sich um Babette und Serge, auch der Maître d’hôtel hielt sich in der Nähe des Stehpults auf – und noch jemand: ein kleiner Mann mit grauen Stachelhaaren, nicht im Anzug oder von Kopf bis Fuß in Schwarz, sondern einfach in Jeans und weißem Rollkragenpulli – vermutlich der Restaurantbesitzer.
    Ja, es handelte sich tatsächlich um den Eigentümer, denn er trat nun einen Schritt vor, um Serge und Babette persönlich die Hand zu schütteln. »Man kennt mich dort«, hatte Serge mir vor ein paar Tagen gesagt. Er kannte den Mann mit dem weißen Rollkragenpulli, der gewiss nicht für jeden eigens aus der Küche kam.
    Doch die Gäste verhielten sich, als sei nichts geschehen. Wahrscheinlich verstieß es gegen die Etikette, sich in einem Restaurant wie diesem, wo der Aperitif des Hauses zehn Euro kostete, öffentlich anmerken zu lassen, dass man jemandenerkannte. Man hatte fast das Gefühl, sie würden sich ein paar Zentimeter tiefer über die Teller beugen oder sich besonders angeregt unterhalten, um mit allen Mitteln zu vermeiden, dass Stille eintrat, denn auch der Geräuschpegel im Restaurant war hörbar gestiegen.
    Und während der Maître d’hôtel (der weiße Rollkragenpulli war wieder in der offenen Küche verschwunden) Serge und Babette zwischen den Tischen hindurch in unsere Richtung führte, schwappte höchstens eine kaum wahrnehmbare Geräuschwelle durchs Restaurant: eine plötzlich aufkommende Brise über die zunächst noch glatte Oberfläche eines Teiches, ein Windzug durch ein Maisfeld, mehr nicht.
    Serge hatte sein breites Lächeln aufgesetzt und rieb sich die Hände, während Babette hinter ihm zurückblieb. Nach ihren kleinen Trippelschrittchen zu urteilen, waren ihre Absätze wahrscheinlich zu hoch, um mit Serges Tempo mithalten zu können.
    »Claire!« Er streckte die Arme nach ihr aus, meine Frau hatte sich bereits halb vom Stuhl erhoben und sie küssten sich dreimal auf die Wangen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls aufzustehen: sitzen bleiben würde zu viel Erklärungsbedarf auslösen.
    »Babette …«, sagte ich und fasste die Frau meines Bruders beim Ellenbogen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie mir für die drei obligatorischen Küsse die Wange hinhalten würde, um dann neben meinen Wangen einen Kuss in die Luft anzudeuten, doch ich spürte den sanften Druck ihres Mundes, zunächst auf der einen Wange, dann auf der anderen, und zuletzt drückte sie mir ihre Lippen, nein, nicht auf den Mund, sondern haarscharf daneben. Gefährlich nahe dran, könnte man auch sagen. Nun sahen wir uns an, wie immer trug sie eine Brille, aber vielleicht war es diesmal ein anderes Modell, jedenfalls konnte ich mich nicht daran erinnern, sie je mit einer Brille mit getönten Gläsern gesehen zu haben.
    Wie gesagt zählte Babette zu der Kategorie Frauen, denen wirklich alles steht, also auch eine Brille. Aber irgendetwas war anders als sonst. Wie bei einem Zimmer, aus dem jemand alle Blumen entfernt hat, während man kurz weg war: eine Veränderung am Interieur, die einem auf den ersten Blick nicht auffällt, bis man die Blumenstängel aus dem Mülleimer herauslugen sieht.
    Die Frau meines Bruders eine Erscheinung zu nennen war noch vorsichtig ausgedrückt. Ich kannte Männer, die fühlten sich durch ihren Körperumfang eingeschüchtert oder sogar bedroht. Sie war nicht dick, nein, mit dick

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