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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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gemurmelt hatte: das war nichts anderes als eine Machtergreifung gewesen, denn von diesem Tag an landete die Weinkarte immer vollkommen selbstverständlich bei Serge.
    Nach der Präsentation der Weinflasche und dem zustimmenden Nicken meines Bruders wurde die Flasche entkorkt. Es war sofort sonnenklar, dass das Entkorken einer Weinflasche nicht zu den Stärken des Maître d’hôtel zählte. Er versuchte es noch tapfer zu verbergen, indem er die Schultern hochzog und seine Stümperei mit einem Lachen zu kaschieren versuchte, begleitet von einem verzogenen Gesicht, als sei es tatsächlich das erste Mal, dass ihm so etwas passierte, aber genau dieses Gesicht entlarvte ihn.
    »Na, der will offenbar nicht«, sagte er, nachdem die obereHälfte des Korkens abgebrochen war und in einzelnen Teilchen mit dem Korkenzieher mitkam.
    Nun befand sich der Maître d’hôtel in einem Dilemma. Sollte er einen weiteren Versuch wagen und die abgebrochene Korkenhälfte aus der Flasche herausfummeln, hier am Tisch, unter unseren erwartungsvollen Blicken? Oder wäre es verständiger, mit der Flasche in die offene Küche zu gehen, um dort fachkundige Hilfe einzuholen?
    Die einfachste Lösung war leider undenkbar: mit dem Ende einer Gabel oder eines Löffels die widerborstige Korkenhälfte durch den Flaschenhals ins Innere hineinzudrücken. Möglicherweise würden beim Einschenken dann ein paar Korkenkrümel im Glas schwimmen, aber: So what ? Who cares ? Was kostete der Chablis? Achtundfünfzig Euro? Der Betrag hatte sowieso nichts zu bedeuten. Am nächsten Tag entdeckte man mit großer Wahrscheinlichkeit dieselbe Flasche Wein für 7,95 Euro im nächsten Supermarktregal.
    »Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte der Maître d’hôtel. »Ich hole eine neue Flasche für Sie.« Und bevor einer von uns etwas sagen konnte, eilte er hastig zwischen den Tischen hindurch davon.
    »Es ist hier eigentlich wie im Krankenhaus«, frotzelte ich, »dort muss man auch beten, dass einem hoffentlich eine Krankenschwester das Blut abnimmt und nicht ein Arzt.«
    Claire musste lachen. Auch Babette lachte. »Ach, das war doch wirklich ein trauriger Anblick«, sagte sie.
    Nur Serge blieb nachdenklich und starrte mit ernster Miene vor sich hin. In seinem Gesichtsausdruck schwang fast ein Anflug von Traurigkeit mit, als hätte man ihm etwas weggenommen: sein Spielzeug, das interessante Gehabe über Weine, Jahrgänge und erdige Trauben. Das Gewurschtel des Maître d’hôtel färbte immerhin indirekt auch auf ihn ab. Er, Serge Lohman, hatte den Chablis mit dem schlechten Korken ausgesucht. Er hatte sich auf einen flotten Ablauf gefreut:das Lesen des Etiketts, das zustimmende Nicken, den ersten Schluck, den der Maître d’hôtel für ihn einschenken würde. Vor allem Letzteres. Inzwischen konnte ich es nicht mehr mit ansehen, nicht mehr mit anhören, das Geschnüffel und Gegurgel, das Geschmatze, den Wein, den mein Bruder von vorne nach hinten über die Zunge rollen ließ, runter bis zum Kehlkopf und dann wieder zurück. Ich wendete immer den Blick ab, bis es vorüber war.
    »Jetzt wollen wir mal hoffen, dass die anderen Flaschen nicht dieselben Übel aufweisen«, sagte er. »Es wäre eine Schande, denn es ist ein ausgezeichneter Chablis.«
    Offenbar befand er sich in einer misslichen Lage, so viel stand schon einmal fest. Auch das Restaurant war seine Wahl gewesen, man kannte ihn hier. Der Mann mit dem weißen Rollkragenpulli war aus der offenen Küche gekommen, um ihn zu begrüßen. Ich fragte mich, was wohl geschehen wäre, wenn ich das Restaurant ausgesucht hätte, ein anderes Restaurant als dieses, eines in dem er noch nie zuvor gewesen war, und der Maître d’hôtel oder ein Kellner dann die Weinflasche nicht beim ersten Versuch aufbekommen hätten: mit hundertprozentiger Sicherheit hätte er dann mitleidig gelächelt und den Kopf geschüttelt. Ja, ich kannte ihn nicht erst seit gestern, er hätte mich mit einem Blick abgestraft, der eine nur für mich zu deutende Botschaft enthielt: Ja, dieser Paul, der führt uns doch immer wieder in die seltsamsten Läden …
    Andere landesweit bekannte Politiker standen gerne selbst in der Küche, sammelten Comics oder sie besaßen ein Boot, das sie von eigener Hand wieder flottgemacht hatten. Ihr selbst gewähltes Hobby stand oft im kompletten Gegensatz zu der dazugehörigen Person und ließ sich kaum mit dem Bild in Einklang bringen, das die Leute von ihr hatten. Eine furchtbar graue Maus mit der Ausstrahlung eines

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