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Angerichtet

Angerichtet

Titel: Angerichtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Koch
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auszuleihen, die wir uns dann im Schlafzimmer von unserem großen Doppelbett aus anschauen konnten: ein Glas Wein, etwas zum Knabbern, ein paar Käsewürfel (ein weiterer Abstecher zum 24h-Shop), und der Abend wäre perfekt.
    Ich würde mich vollkommen aufopfern, versprach ich in Gedanken, ich würde Claire den Film aussuchen lassen, auch wenn es dann garantiert ein Kostümfilm sein würde. Stolz & Vorurteil, Zimmer mit Aussicht oder Mord im Orient-Express oder etwas in der Art. Ja, so könnte es gehen, überlegte ich, mir könnte unwohl werden und dann könnten wir nach Hause gehen. Doch stattdessen sagte ich: »Serge Lohman, der Tisch zur Gartenseite.«
    Das Mädchen blickte vom Buch auf und sah mich an.
    »Aber Sie sind nicht Herr Lohman«, sagte sie, ohne mit der Wimper zu zucken.
    In diesem Moment verfluchte ich alles: das Restaurant, dieMädchen mit den schwarzen Bistroschürzen, den bereits jetzt schon verdorbenen Abend – aber ganz besonders verfluchte ich Serge, das Essen, auf das er am meisten gedrungen hatte, ein Essen, zu dem pünktlich zu erscheinen er noch nicht einmal die Höflichkeit besaß. Er war nie pünktlich, auch in den Gemeindesälen mussten die Leute immer auf ihn warten. Der stark beschäftigte Lohman hatte sich wohl verspätet, die Versammlung in dem Saal zuvor war überzogen worden, und jetzt stand er irgendwo im Stau. Er fuhr nicht selbst, nein, Autofahren bedeutete Zeitverschwendung für jemanden, der mit solchen Talenten gesegnet war wie Serge. Man hatte einen Chauffeur, damit man in der kostbaren Zeit wichtige Papiere durchgehen konnte.
    »Ja, das stimmt«, sagte ich. »Lohman ist der Name.«
    Ich sah das Mädchen unverwandt an, das Mädchen, das nun doch mit der Wimper gezuckt hatte, und öffnete den Mund für den nächsten Satz. Der Moment des Sieges war erreicht, doch es war ein Sieg mit dem Beigeschmack einer Niederlage.
    »Ich bin sein Bruder«, sagte ich.

[Menü]
    5
    »Als Aperitif des Hauses haben wir heute einen Champagner rosé.«
    Der Maître d’hôtel – oder Restaurantleiter, die Serviceleitung, Bankettleitung, der Oberkellner oder wie auch immer so jemand in einem solchen Restaurant genannt wird – trug keine schwarze Bistroschürze, sondern einen Dreiteiler. Der Anzug war hellgrün mit blauen Nadelstreifen, und aus der Brusttasche schaute die Spitze eines ebenfalls blauen Taschen- oder Einstecktuchs heraus.
    Seine Stimme war leise, zu leise, man konnte ihn kaum über die Geräusche des Speisesaals hinweg verstehen. Irgendwas stimmte hier mit der Akustik nicht, hatten wir gleich festgestellt, nachdem wir uns an unserem Tisch (zur Gartenseite, ich hatte richtig gepokert) niedergelassen hatten. Man musste lauter als üblich sprechen, sonst flatterten die Worte davon, zur gläsernen Decke, die hier auch ein Stück höher als in anderen Restaurants war. Absurd hoch, könnte man sagen, wenn die Höhe nicht alles mit der früheren Bestimmung des Gebäudes zu tun gehabt hätte: eine Molkerei, meine ich irgendwo mal gelesen zu haben, oder ein Wasserpumpwerk.
    Der Maître d’hôtel deutete mit dem kleinen Finger auf etwas auf unserem Tisch. Ob er das Teelicht meinte, überlegte ich zunächst – auf allen Tischen stand statt einer Kerze oder Kerzen ein Teelicht. Nein, der kleine Finger zeigte auf ein Schälchen mit Oliven, das er dort offenbar gerade hingestellt hatte. Jedenfalls konnte ich mich nicht erinnern, es dort stehen gesehen zu haben, als er die Stühle für uns zurückgeschoben hatte. Wann hatte er das Schälchen dorthin gestellt? Kurz überkam mich ein Anfall von Panik. In der letzten Zeit passierte es mir öfter, dass plötzlich Bruchstücke fehlten – Zeitfetzen, leere Augenblicke, in denen ich mit meinen Gedanken offenbar woanders gewesen war.
    »Das hier sind griechische Oliven von der Peloponnes, zart beträufelt mit einem Olivenöl erster Ernte extra vergine aus Nordsardinien und bekrönt mit Rosmarin aus …«
    Als der Maître d’hôtel diesen Satz sagte, beugte er sich ein wenig näher zu unserem Tisch hinunter, und dennoch verstand man ihn kaum; der letzte Satzteil war komplett unverständlich, wodurch uns die Herkunft des Rosmarins vorenthalten wurde. Normalerweise konnte mir eine solche Information zwar gestohlen bleiben, von mir aus kam der Rosmarin aus dem Ruhrgebiet oder aus den Ardennen, aber ich fand das Geschwafel wegen einer Schale Oliven doch ziemlich übertrieben, und ich hatte keine Lust, ihn einfach so davonkommen zu lassen.
    Zudem war da

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