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Angezogen - das Geheimnis der Mode

Angezogen - das Geheimnis der Mode

Titel: Angezogen - das Geheimnis der Mode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Vinken
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Ambivalenz zwischen erotischem Berühren und klinischem Aufschneiden wird durch das aggressive Bloßlegen des Leibes erzeugt; ganz bleibt nämlich der nackte Torso, nur bedeckt von einem hautfarbenen Stricktrikot. Gerahmt und dadurch ins Bild gesetzt wird er durch die darüber getragenen Capes: von den Armen fallen Stoffbahnen weich nach unten. Die Schulterlinie ist durch ein Stoffband markiert, das sich ganz um die Schultern legt und nicht zu öffnen ist, so dass man das Cape wie einen Pullover anziehen muss. Das klassische Cape erlaubt die Verhüllung des Leibes; es kann schützend um den Leib geschlungen, elegant um ihn drapiert werden. Wenn etwas gezeigt und je nach Laune der Trägerin enthüllt werden kann, dann das Dekolleté. Dieses Cape hingegen, gewissermaßen ein Negativ des klassischen Capes, bedeckt das Dekolleté – unmöglich ist es auch, den Leib damit zu verhüllen, da die Stoffbahnen unter den Armen angebracht sind. Eine Geste der Verhüllung müsste die Arme über die Schultern kreuzen und würde nichts Souverän-Elegantes haben, sondern fast kindlich eine Bedrohung abwehren. Der Torso ist als nackter, nur mit einemfleischfarbenen, schmucklosen Jumpsuit bedeckt, dem Zugriff ausgesetzt. Exponiert wird so eben das, was bei der Venus aufgeschnitten wird, damit man sie öffnen kann. 131
    Das Ambivalentmachen des Nackten wird in der Kollektion 2008/2009 vorangetrieben. Wie in einem surrealistisch anmutenden Traumbild von Delvaux tritt eine Frau auf, die unten mit einer weiten, roten Hose bekleidet, von der hohen Taille aufwärts aber ganz nackt ist. Diese Überdosis Erotik wird auf den zweiten Blick von Unheimlichkeit durchschossen. Denn dieser durch Farbe und Material horizontal entzweigeschnittene Körper erinnert an ein zusammengesetztes Wesen: an einen Zentaur etwa, bis zur Taille Mensch und dann halb Tier. Außerdem wird nicht das natürliche, nackte Fleisch sichtbar, sondern eine Art Ersatzfleisch, ein Imitat, das den Oberkörper überzieht und in seiner Anmutung zwischen Stützstrumpf und Prothese schwankt. In Farbe und Material ist es nicht anziehend, sondern abstoßend. Eine andere Frau wird von dem Gegensatz angezogen/nackt nicht horizontal, sondern vertikal durchtrennt. Während die angezogene Hälfte ein elegantes Kleid ist, überzieht auf der »nackten« Seite wieder ein sanitätshausartiges Hautimitat die Nacktheit. Oder aber es ragt aus einem sehr aufreizenden, zum Venusknoten geschürzten, rot schimmernden Body, der die Beine ganz nackt lässt, ein wie mit einem Strumpf bezogener Oberkörper. Hier lockt nicht das Fleisch, hier droht die Prothese. Nichts als ein schwarzer BH wird oben herum getragen; er ruft für die erste Sekunde die in der Reklame bis zum Überdruss eingesetzte Unterwäscheerotik auf, in der der schwarze BH auch wegen des starken Kontrasts zur Hautfarbe unangefochten Platz eins belegt. Auf den zweiten Blick sieht man jedoch, dass sowohl der BH als auch die »Nacktheit« aus demselben sanitätshausartigen Material sind. Der erotische Reiz wird auch hier nur aufgerufen, um durchbrochen zu werden. Das wirkt wie ein Spaß, den sich die Trägerin mit der Durcherotisierung der öffentlichen Sphäre macht, die sie sich auf den Leib schreibt, ohne sie zu verkörpern. Dieser Witz wirdverstärkt, wenn die Trägerin den hautfarbenen Body mit eingewirktem schwarzen BH unter einem eleganten Anzug trägt, der in seinem dezenten Wolltuch und Schnitt an den klassischen Herrenanzug erinnert, der darauf angelegt ist, alles Nackte unsichtbar zu machen. Yves Saint Laurents Smoking für Damen wird durch den im Ausschnitt, der zum Dekolleté wird, sichtbaren Busen erotisiert. Diesen Effekt zitiert Margiela, um ihn in einer Mischung von kindlicher Unschuld und unheimlicher Prothese durchzustreichen. In eine ähnliche Richtung geht auch die aufgerufene Strumpfbanderotik, die an die Chorus Girls des Varietés erinnert; aufreizend wird das Strumpfband im hoch geschlitzten Hosenbein zur Schau gestellt. Kaum merklich zieht das Mannequin dieses Bein jedoch nach und humpelt ein kleines bisschen. Ob das Strumpfband nur den Schnitt zur Prothese verdeckt? Eine Frau in einem sehr elegant geschnittenen Kleid tritt auf, das als Etuikleid an Edith Piaf oder Audrey Hepburn erinnert. Unvermutet ist es hinten heruntergerissen, und der bis zur Taille nackte Rücken schaut unter den Fetzen hervor. Was von der Gewalt der Leidenschaft freigelegt scheint, ist jedoch wieder nur eine Art Plastikfleisch, ein

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