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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Heute schenkte ich meinem Papageien die Freiheit. Ich tat es im ersten Licht des Tages, noch bevor meine Magd Ix Chel erschien, um mir Maisfladen und Kakaw zu bringen, die ich gewöhnlich noch auf meinem Lager zu mir nehme. Doch an diesem Tag hatte mich gleich nach dem Erwachen Unruhe befallen, und ich trug U-Ch’ix-K’an zum offenen Fenster, wo er sich zunächst auf meiner Hand festkrallte. Mein Vater hatte mir diesen Vogel geschenkt, als ich vor zwanzig Jahren meine Heimat verließ, um die Gemahlin Janaab Pakals, des Herrn von Lakamha’, zu werden. Ich benannte ihn daher nach dem großen Kriegerkönig, der vor langer Zeit die berühmte Stadt gründete, den prächtigsten Ort des Reiches, meine zukünftige Heimat.
    U-Ch’ix-K’an hat mehr Zeit mit mir verbracht als irgendein Mensch außer der treuen Ix Chel. Es schmeichelte mir, wie schwer es ihm fiel, sich von mir zu trennen, denn sonst wird mich kaum jemand vermissen, wenn ich diese Stadt verlasse. Mein Gemahl hat nur Hunde als Lasttiere bei unserer Abreise gestattet und befohlen, selbst seinen geliebten Jaguar zu töten, da er ihn nicht mitnehmen konnte. Ich schlug mit beiden Händen gegen das steinerne Gemäuer, um meinen Vogel zu erschrecken, denn blieb er bis zu unserem Aufbruch im Palast, könnte ihn ein ebensolches Schicksal ereilen.
    U-Ch’ix-K’an kreischte, ob aus Panik oder Zorn, dann spreizte er seine Flügel und segelte über die Stadt hinweg. Ich sah, wie er den zinnoberrot bemalten Spitzen der Tempelpyramiden auswich, um schließlich im satten, schweren Grün des Waldes zu verschwinden. Dort leben viele seiner Art, aber ich weiß nicht, wie sie ihn empfangen werden. Eine Weile starrte ich ihm versonnen hinterher, erstaunt, wie sehr mich dieser Abschied schmerzte. Dann fiel mir die Zeit wieder ein, als ich mich danach gesehnt hatte, aus meinem Fenster in die Weite des Dschungels fliegen zu können und nach jenem Ort zu suchen, wo Ahmok sich verbarg. Es musste an dem bevorstehenden Aufbruch liegen, denn ich hatte mir schon lange verboten, an ihn zu denken. Ix Chel rettete mich vor dieser sinnlosen Schwermut, indem sie mein Morgenmahl hereintrug.
    »Wir sollen bis zur Mittagszeit zum Aufbruch bereit sein, Herrin«, ermahnte sie mich vorsichtig. Ich verzehrte rasch den Maisfladen, nahm mir aber etwas Zeit, den duftenden, scharf gewürzten Kakaw zu genießen, denn ich wusste nicht, ob wir dieses Getränk während der Reise zubereiten könnten. Der Schaum, das köstlichste Element dieses Getränks, bedeckte meine Lippen, die ich genüsslich ableckte. Indessen trugen einige Sklaven einen Bottich herein, sodass ich mich in Ruhe waschen konnte, vielleicht zum letzten Mal für lange Zeit. Ix Chel gab sich wie immer Mühe, mich herzurichten, auch wenn ich mich wieder einmal fragte, welchen Sinn all diese Anstrengungen noch hatten. Mein Gemahl hatte schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr nach mir rufen lassen. Mein Haar ist grau, und fahre ich mir mit den Händen über das Gesicht, so fühlt sich meine Haut schlaff an wie ein zu oft gewaschenes Tuch. Mich wird kein Mann mehr mit Verlangen ansehen.
    Ix Chel zog mir einen bestickten Huipil an, der bis zu meiner Taille reichte, band dann den Rock um meine Hüften und gab mir Sandalen. Sie vertrödelte viel Zeit damit, mein Haar in Zöpfe zu flechten. Als sie vorschlug, auch noch meine Arme zu bemalen, protestierte ich. Die Tätowierungen von Schlangen und Panthern, die ich kurz vor meiner Hochzeit erhalten hatte, scheinen mir Verzierung genug.
    »Du sollst noch mit deinem Gemahl im alten Stadttempel erscheinen«, erklärte meine Magd hartnäckig und begann, in Tontöpfen Farbpulver mit Wasser zu mischen. Mir wurde unwohl. Ich habe den Tempel seit Ahmoks Tod nicht mehr betreten, allein bei seinem Anblick nehme ich den eigentümlichen Geruch menschlichen Blutes in der Nase wahr. Ich war dankbar, wenn Janaab Pakal auch bei den Zeremonien nicht mehr die Anwesenheit seiner ersten Gemahlin verlangte, doch wusste ich, dass ich mich seinem Befehl nicht verweigern konnte, sonst würde es mir am Ende ergehen wie dem Jaguar, den er weitaus mehr geliebt hatte als mich.
    »Denkst du manchmal noch an Ahmok, deinen Gemahl?«, fragte ich Ix Chel, die gerade ein Muster aus gelben und schwarzen Streifen auf meine erschlafften Unterarme malte. Sie war so überrascht, dass sie erstarrte und ein paar Tropfen Farbe auf den Boden fielen. Ihr Blick streifte mich leicht tadelnd, denn es gilt als unschicklich, dass eine Dienerin mit

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