Angezogen - das Geheimnis der Mode
Hemd etwa, getragen zu werden, nach außen in den Anzug gewandert, der auf der Straße getragen wird. Das rostrote Karo löste sich nicht zur Anmutung eines Unistoffs auf, wie es für den Anzug obligatorisch ist, der höchstens nadelstreifenfeine Linien haben darf. Ein spektakulärer Auftritt. Der Herr stach krass hervor und führte das Ausmaß der durch den Anzug geleisteten Uniformierung, in der noch die kleinste Abweichung zur Revolution wird, vor Augen. Dies Ausmaß an Uniformiertheit hat die Frauenmode nie erreicht. Das Wochenende, die Freizeit, wird in der Männermode nach wie vor vom Vorbild des englischen Landadels bestimmt: warme, manchmal sogar kräftige, herbstlich leuchtende Naturfarben, Weidengrün, gebranntes Siena, Cognac, weich fallende Wolljackets, bequem geschnittene Jeans oder noch lieber Cordhosen, Kaschmirpullover – ein bisschen englischer Landsitz. In München ruft auch schon mal mit Luis Trenker oder Loden Frey der Berg; in Hamburg hängt am blauen Blazer mit den goldenen Knöpfen der Duft des großen, weiten Meeres.
Frauen zeigen in ihren Kleidern selbst dann, wenn sie hart arbeiten, dass sie sich von der Berufswelt nicht vereinnahmen lassen, sondern Zeit und Muße haben, sich den schöneren Dingen des Lebens zu widmen. Und vor allen Dingen ganz Frau bleiben. Schlank, leicht gebräunt, dezent trainiert: ein Körper, subtil inszeniert, der zeigt, dass er das überzeugende Resultat vieler in ihn investierter Stunden Arbeit ist. Zeit investiert man vor allem in sich selbst. Barbour, Moncler oder Longchamp: Pariser Pferderennen, schottisches Landleben im Herrenhaus, Kitzbühel oder St. Moritz werden in diesen Kleidern mitgetragen. Ein bisschen Ibiza-Hippie-Style, ein Hängerchen, bestickt oder bedruckt, aus feinstem Baumwollbatist oder Seide, das lässig über die Leggings, Röhrenjeans oder Caprihosen fällt – alles in hellen Farben –, bequeme Tods oder Ballerinas, ein kurzer Gehrock aus Kaschmir oder eine schmale Pelzweste. Der Schmuck ist bizarr interessant, ein »Fundstück«. Offensichtliche Statussymbole wie Vuitton-Taschen müssen nicht sein: Es geht auch diskreter. Das Diktat von dunkelblau, beige und Perlenkette, langweilig damenhaft, ist vorbei. Aber bitte nicht zu viel Sex-Appeal – schließlich muss sie sich nicht um jeden Preis an den Mann bringen – und außerdem – keine fetischisierende Verdinglichung! – alles natürlich mädchenhaft. Bloß nicht zu viel Stilwille, das wirkt gekünstelt. Frau ist stattdessen völlig individuell und ganz authentisch: Pferdeschwanz, glänzende offene Haare, wie zufällig hochgesteckte Chignons, ein Bob, der aussieht, als ob der Wind durch die Haare gefahren ist. Eine Bricolage, anscheinend dem Zufall geschuldet. Und vor allen Dingen umweht vom Glück der Ferien, deren Duft sie in den Alltag trägt – das krasse Gegenteil von Berufskleidung und Uniformierung. Obwohl kein Stil so uniform erfolgreich war wie dieser weibliche Stil des völligen Individualismus, wo Jacke und Hose nicht mehr zusammengehören, sondern alles frei kombinierbar wird. Kurz, eine Kleidung, die dem Prinzip des männlichen Anzugs, der Hose und Jacke aus einem Stoff schneidert und Hemd und Krawatte darauf abstimmt, diametral entgegengesetzt ist.Weibliche modische Norm ist die vollkommene Freiheit von den Normen und Zwängen des Alltags. Imaginär immer ein bisschen Sand zwischen den Zehen, ganz ungezwungen. Kollektiv zeigen die Frauen ganz individuell das ihnen eigene individuelle Allgemeine: dass sie nicht wie die Männer Teil eines Kollektivs und keinesfalls Teil der uniformierten, arbeitenden Bevölkerung sind.
Als Frauen von heute ziehen sie sich nicht wie die Frauen von gestern, also weiblich als Dame oder Kokotte an, sondern spielen mit männlichen Elementen, die aus der bürgerlichen Mode, der adeligen Mode und der Arbeitermode kommen. Alles Weibliche, mit dem Modischen kurzgeschlossen, versuchte sich von diesem Makel zu befreien. Der sehr viel schnellere und sehr viel extremere Wechsel der weiblichen Moden liegt auch darin begründet, dass die Form gewordene Weiblichkeit immer wieder verworfen und durch etwas Neues ersetzt werden muss. Um Weiblichkeit von gestern hinter sich zu lassen, macht man Anleihen bei der Männermode. Um zu signalisieren, dass einem das entfremdete Büroleben fern steht, übernimmt man Männermode mit einem ausgeprägt körperlichen Touch. Jeans etwa waren ursprünglich Arbeitshosen der hart körperlich arbeitenden Männer, Baumwollripp
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