Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
sich sogleich in Ravens blauen Augen wider. Sein Blick irrte umher und suchte die Wanduhr, rechts von seinem schwarz gelackten Schreibtisch.
„Bewegen sich die Zeiger überhaupt nicht?“ Die Zeit schien stillzustehen, niemand kam. „Der“ Raven Blackstone, auf einem Designer Stuhl in seinem eigenen Büro mit silbernem Klebeband fixiert, erschauerte. Keiner seiner zahlreichen Wachleute stürmte herein und schützte ihn. Nun überkam ihn die Gewissheit, dass es nur noch schlimmer kommen könnte. Seine Nackenhaare stellten sich auf.
„Bitte, Gott, lass es schnell vorübergehen.“
Ravens Gedanken überschlugen sich.
Nackt und schutzlos ausgeliefert ging die seltsame Folter weiter. Mittlerweile zierten seinen Körper zwanzig feine, vielleicht einen Zentimeter lange Schnitte. Diese waren wohlgesetzt, der Fremde wusste sehr genau, was er tat. Alle Wunden bluteten kaum.
»Mr. Blackstone, wissen Sie, dass die menschliche Haut ein sehr sensibles Organ ist?
Bislang war ich sehr vorsichtig, nun aber muss ich voranschreiten und werde nicht mehr an der Oberfläche kratzen.
Tiefer, viel tiefer werden meine Schnitte. So, dass Streifen ihres gebräunten Organs herunterhängen werden und das dunkelrote dahinterliegende Fleisch herausdrängt. Nun werde ich Ihnen bleibende Schäden zufügen. Als Erstes werde ich Ihnen die Sehnen an den Fersen durchtrennen. Sie werden danach nie wieder so unbeschwert gehen wie bislang. Keine Sorge, Sie werden sofort in Ohnmacht fallen. Die anschließenden Schmerzen werden natürlich extrem sein. Viel schlimmer als bei unserem kleinen Vorspiel. Danach dürften Sie dann endlich soweit sein, so hoffe ich.
Wenn nicht, erfahren Sie noch Schlimmeres.«
Jules trug es lächelnd und stoisch vor.
Um es zu unterstreichen, setzte er das scharfe Instrument an besagter Stelle an. Raven zappelte wie ein Aal an der Angel und stöhnte laut durchs Metallband. Er hoffte inständig, dass dieser Geisteskranke ihn nun verstand und mit seinem angedrohten Tun aufhörte. Wieder wurde schmerzhaft das Klebeband weggerissen.
»Wollen Sie endlich vernünftig sein?
Das freut mich aber.«
Raven nickte mehrmals, fast wild, seine Stimme versagte ganz.
»Möchten Sie etwas trinken, Mr. Blackstone? Sicherlich.«
Jules holte von einem Sideboard eine Flasche Wasser und setzte sie an Ravens Mund.
Gierig trank er das kühle Nass.
»So, das reicht. Teilen Sie mir die Kombination Ihres Wandtresors mit, dann ist der Spuk in wenigen Sekunden vorbei .«
»Vier, sechs, neun, fünf, neun, acht.«
Raven leierte die Zahlen stöhnend herunter. »Das war doch wirklich nicht so schwer - oder? Warum nicht gleich so?«
Jules freute sich sichtlich. Bevor er sich dem Tresor widmete, klebte er wieder äußerst präzise und geübt, das Klebeband über den Mund von Raven Blackstone. Kaum ausgeführt, war kurz darauf die einzige Spur zum Fremden sein eindringlich penetranter Schweißgeruch,
der das Büro noch länger schwängerte.
Als kleines Abschiedsgeschenk säuselte Jules noch ein paar Worte in Ravens Ohr …
Alles, was er in den letzten Minuten erleiden musste, verschwand sofort in einem dunklen Korridor.
Das Gehörte war schwer zu ertragen.
Seine Gedanken vollführten wilde Zeitsprünge.
„Das kann nicht sein!“
Raven zitterte am ganzen Leib.
Kapitel 2
Susanne Melcher hantierte schon seit zwei Stunden freudig erregt in ihrer schönen und bestens ausgestatteten Hochglanzküche herum. Es roch auch schon himmlisch nach gebratenem Fleisch, exotischen Gewürzen und dergleichen. Heute kochte und zelebrierte sie alles mit großer Hingabe. Es war für sie ein besonderer Tag, ihr dritter Hochzeitstag. Sie wollte ihrem liebsten Peter ein wohlschmeckendes und noch nicht gekanntes Mahl zaubern.
Sie hatten in letzter Zeit - zu wenig davon; aber morgen standen endlich ihre immer wieder aufgeschobenen und mit allen Fasern langersehnten Flitterwochen an. Zwei Wochen Malediven, nur Strand und türkisfarbenes Meer, Ruhe und Zweisamkeit. Susanne freute sich über alle Maßen, war aufgedreht und glückselig wie schon lange nicht mehr.
Das Klingeln ihres Handys verdrängte ihr Dauergrinsen und zauberte ein richtiges Lächeln in ihr Gesicht. Sie wischte sich schnell ihre vom Gemüsewaschen feuchten Hände mit einem Geschirrhandtuch trocken. Bewegte sich in Windeseile von der Küche ins Wohnzimmer und hob ihr Smartphone vom Esstisch auf. Sie schaute aufs Display und ihre Freude schwand ein wenig, es war ja gar nicht ihr
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