Angor - Schatten der Vergangenheit (Kriminalroman)
Märchenprinz. Die Nummer wurde unterdrückt, eigentlich nahm sie dann gar nicht mehr ab.
»Melcher.«
»Hallo Susanne«, eine blecherne Stimme hauchte in ihr Ohr.
»Wer ist denn da? Peter?
Ärgere mich bitte nicht!«
Sie kannte seine mitunter seltsamen Scherze, die nur er verstand. Aber heute konnte sie eigentlich so ziemlich nichts verstimmen. Wenn es Peter war, sollte er seinen Spaß haben. Wenn nicht, wäre es ihr überhaupt nicht peinlich.
»Schatz, du solltest deine Späßchen lassen und schnell nach Hause kommen. Erstens habe ich Köstliches gekocht und zweitens so ziemlich nichts an … also beeile dich!«
Sie versuchte diese künstliche Stimme nachzuahmen, es gelang nicht wirklich.
Nun lachte sie laut.
»Susanne, dein Lachen wird dir gleich vergehen«, ertönte es bedrohlich.
Nun beschlich sie doch ein ungutes Gefühl.
Sie drückte das Gespräch weg und schaute auf den ausgeschalteten Flachbildschirm an der Wand neben ihrem riesigen schwarz-weißen Hochzeitsfoto, als wenn dieser ihr eine Antwort geben würde. Und wieder klingelte ihr Handy, nun ernst, drückte sie die grüne Hörertaste.
»Melcher.«
»Wenn du wieder auflegst, töte ich deinen Mann, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Du hörst jetzt nur zu, du dumme Kochtusse.«
Ihr aufkommendes Angstgefühl schnürte ihren Hals zu, seltsamerweise schärfte das Gehörte, all ihre Sinne.
»Gehe zu unserem Laptop, schalte ihn ein und ruf meinen E-Mail-Account auf. Bitte sorge …«
Das Gespräch riss ab, es war Peters Stimme, verändert, aber er war es. Susanne vernahm noch ein polterndes Geräusch, es verstärkte ihre Angst.
Dann sprach der blecherne Roboter wieder:
»Du brauchst dir keine Sorgen machen, ich habe deinen Mann nur so zugerichtet, damit ihr beide den Ernst der Lage begreift und das tut, was ich von euch unwichtigen Individuen verlange. Also rufe die E-Mail ab, ich melde mich genau in fünf Minuten wieder. Folge meinen Anweisungen, dann wird alles gut !«
Die Blechstimme legte, wie sie zuvor auch, einfach auf. Susanne sprintete zum Teakholz Sideboard, auf dem sich das Notebook befand, nahm es und setzte sich auf die cognacfarbene Ledercouch. Es dauerte und dauerte, bis sie endlich nach wenigen Sekunden die angekündigte E-Mail öffnete.
Zu allererst sah sie Fotos. Aufgenommen in einem Auto, Peter saß gekrümmt auf einer grauen Lederrückbank, das war offensichtlich.
Susanne erschrak, Phantomschmerz am ganzen Körper setzte ein, Tränen schossen ihr in die Augen. Sie sank vom rutschigen Leder direkt auf das kalte Parkett und verharrte dort heulend und schluchzend auf die Bilder schauend.
Peter Melcher sah fürchterlich aus.
Nackt, geschlagen, getreten, gefoltert?
Er war mit silbernem Klebeband seltsam fixiert, seine Augen abgeklebt. Auf alle Fälle Angst hervorrufend, fürchterlich misshandelt; augenscheinlich leidend und blutend, sie litt fühlend mit.
„Warum das alles?“
Ihre Gedanken blieben recht kla r, sie verfiel nicht in Panik. Es tat irgendwie nur höllisch weh. Als wenn sie seine Situation wirklich miterleiden musste. Susanne fühlte all seine Qual und Leid, wollte es sofort teilen oder auf sich herüberleiten. Sie glaubte schon immer an die Macht positiver Gedanken. Peter war selbst auch kein Kind von Traurigkeit, das wusste sie genau. Als Heranwachsender war er ein stadtbekannter Amateurboxer mit zarten Kontakten zum Rotlichtmilieu. Impulsiv und leicht zu beeinflussen, ließ er sich manches Mal zu aggressivem Verhalten hinreißen.
Mit viel Glück und juristischem Beistand seines Onkels blieb er von Vorstrafen verschont. Ansonsten wäre sein beruflicher Werdegang sicherlich anders verlaufen.
Als Peter Susanne kennenlernte, löste er sich von seinem alten Umfeld. Alles Übel war verarbeitet und verdrängt, und das nunmehr schon seit vielen Jahren. Heute war er sanft wie ein Lamm. Susanne scrollte an den Fotos vorbei, dann las sie einen kurzen Text:
„Ruhig bleiben! Mein Tun richtet sich nicht gegen euch. Diese Bilder hätte dein Mann dir ersparen können, aber leider ist er nicht kooperativ. Dann wäre er schon längst wieder zu Hause. Ihr würdet wahrscheinlich gerade deinen saftigen Braten essen, euch im Anschluss heftig lieben und morgen in den Urlaub fliegen. Aber nein … er hat es verdorben. Leider läuft mir die Zeit weg.
Er sträubt sich, Verlangtes zu überreichen. Du, Susanne, bist vernünftiger, das ist gewiss. Oder etwa nicht? In wenigen Minuten klingelt dein Telefon wieder,
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