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Angriff auf die Freiheit

Angriff auf die Freiheit

Titel: Angriff auf die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Ilija;Zeh Trojanow
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König Johann ein Dokument ab, das als »Magna Charta« von 1215 in die europäische Verfassungsgeschichte einging. Unter den 63 Artikeln der Charta liest sich besonders einer erstaunlich modern. In Artikel 39 heißt es: »Kein freier Mann soll verhaftet, gefangengesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden; noch werden wir ihm etwas zufügen oder ihn ins Gefängnis werfen lassen, es sei denn durch das gesetzliche Urteil von seinesgleichen oder durch das Landesgesetz.«
    Die ungerechtfertigte Verhaftung demonstriert seit jeher am eindrücklichsten die Ohnmacht Einzelner gegenüber dem Staat. Noch rund vierhundert Jahre später mißbrauchte der englische König Karl I. seine sogenannten Habeas-corpus- Befugnisse (»Du sollst den Körper haben«), nämlich das Recht zur Ausstellung von Haftbefehlen, um von wohlhabenden Bürgern Geldzahlungen zu erpressen. Im Jahr 1679 erzielte der Kampf um die allmähliche Befreiung des Individuums in Großbritannien einen historischen Erfolg, nämlich durch den Erlaß des Habeas Corpus Amendment Act. Inhaftierte mußten nun binnen drei Tagen einem Richter vorgeführt werden und durften keinesfalls außer Landes gebracht werden.
    Kein freier Mann sollte jemals wieder jenes Schicksal erleiden, das später literarisch Kafkas Josef K. widerfuhr, der eines Morgens verhaftet wurde, »ohne daß er etwas Böses getan hätte«. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich den Alptraum auszumalen, willkürlich aus seinem normalen Leben herausgerissen und ins Gefängnis geworfen zu werden. Dementsprechend hat der Schutz vor willkürlicher Verhaftung Eingang in die wichtigsten Menschenrechtsdokumente gefunden. Die »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte«, welche 1789 im Zuge der Französischen Revolution verkündet wurde, enthält ihn in Artikel 7. Einen Monat später machte die amerikanische »Bill of Rights« ihn zu einem einklagbaren Recht. Weitere zwei Jahrhunderte später sind moderne Rechtssysteme ohne den Schutz vor willkürlicher Verhaftung nicht mehr vorstellbar. Die Europäische Menschenrechtskonvention verankert dieses Recht in Artikel 5, das deutsche Grundgesetz in Artikel 104, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO in Artikel 9.
    Und dann? Am 18. Dezember 2007 wurde in New York eine originale Abschrift der »Magna Charta« für 21 Millionen US-Dollar versteigert – während das in ihrem Artikel 39 formulierte Recht im modernen Amerika bereits nicht mehr für alle galt. Ein Jahr zuvor hatte George W. Bush den Habeas-corpus- Schutz für sogenannte »feindliche Kombattanten« außer Kraft gesetzt. Wer ein feindlicher Kombattant ist und wer nicht, das entscheidet die Exekutive und nicht etwa ein Richter; wirksame Rechtsmittel gegen diese Entscheidung gibt es nicht. Wenn die neue amerikanische Regierung unter Barack Obama nun ankündigt, den Begriff des »feindlichen Kombattanten« nicht mehr verwenden zu wollen, heißt das nicht, daß sich an der einschlägigen Praxis der Verhaftung und Festsetzung von »Unterstützern« des Terrorismus etwas ändert. Wie sein Vorgänger will Obama bei der Terrorismusbekämpfung das Kriegsrecht anwenden, wogegen die Gerichte weitgehend machtlos sind. Fast achthundert Jahre nach Erlaß der Magna Charta herrscht – Willkür.

    Etwas weniger drastisch, aber leider nicht weniger dramatisch zeigt sich die Entwicklung in anderen Bereichen des Grundrechtsschutzes. Noch heute brandet in den Theatern der Republik regelmäßig Szenenapplaus auf, wenn der Marquis von Posa im Don Karlos fordert: »Geben Sie Gedankenfreiheit!« Offenbar spürt auch noch ein Publikum im 21. Jahrhundert, was dieser Ausruf zu Schillers Zeiten bedeutete. Es ist noch nicht allzulange her, daß die Äußerung und Niederschrift von politischen Gedanken fortschrittliche Autoren, Denker und Revolutionäre ins Gefängnis oder gar ins Grab bringen konnte. In großen Teilen der Welt besteht diese Gefahr noch immer. Gerade weil der Mensch zu eigenständigem Denken befähigt ist, lag es stets im existentiellen Interesse autoritärer Staatsapparate, kritischen Gedanken auf die Schliche zu kommen. Diese staatliche Neugier zu begrenzen stand auf allen progressiven Bannern geschrieben.
    Durch den Fortschritt der Kommunikationstechnologie im 20. Jahrhundert hat die Forderung aus dem Don Karlos neue Aktualität gewonnen. Vor der Erfindung von Telephon und Internet nahm der Schutz der Privatsphäre beim Kampf für Bürgerrechte eine zweitrangige

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