Angst in deinen Augen
verknitterte. Aber sie registrierte Lydias erste Frage.
„Hast du schon etwas von Robert gehört?“
Nina versteifte sich sofort. Oh, bitte, dachte sie. Bitte, tu mir das nicht an.
„Ich bin mir sicher, dass ihr das klären könnt“, sagte Lydia. „Ihr müsst euch einfach nur zusammensetzen und offen darüber reden, was ihn stört, und dann …“
Nina löste sich aus der Umarmung. „Ich setze mich nicht mit Robert zusammen“, sagte sie. „Und was das Offen-darüber-Reden anbelangt, bin ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt je offen miteinander gesprochen haben.“
„Also wirklich, Liebling, natürlich ist es ganz normal, dass du wütend bist, aber …“
„Und du bist nicht wütend, Mutter? Kannst du nicht für mich wütend sein?“
„Nun, ja … gewiss. Allerdings kann ich trotzdem keinen Grund dafür sehen, Robert jetzt einfach …“
Das plötzliche Räuspern veranlasste Lydia aufzuschauen. Erst jetzt sah sie Sam, der noch vor der Tür stand.
„Ich bin Detective Navarro, Polizei Portland“, sagte er. „Sie sind Mrs. Cormier?“
„Jetzt Warrenton.“ Lydia schaute ihn mit gerunzelter Stirn an. „Was hat das zu bedeuten? Was hat die Polizei damit zu tun?“
„Es hat in der Kirche einen Vorfall gegeben, Ma’am. Wir stellen Ermittlungen an.“
„Einen Vorfall?“
„Auf die Kirche wurde ein Bombenanschlag verübt.“
Lydia starrte ihn an. „Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das ist völlig unmöglich.“
„Doch, es ist mein voller Ernst. Die Bombe explodierte heute Nachmittag um Viertel vor drei. Glücklicherweise wurde niemand dabei verletzt. Aber wenn die Trauung tatsächlich wie geplant stattgefunden hätte …“
Lydia wurde ganz grau im Gesicht. Sie trat einen Schritt zurück, ihre Stimme versagte.
„Mrs. Warrenton“, sagte Sam. „Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.“
Nina blieb nicht, um zuzuhören. Sie hatte bereits zu viele Fragen über sich ergehen lassen müssen. Sie ging nach oben ins Gästezimmer, wo sie ihren Koffer zurückgelassen hatte – den Koffer, den sie für St. John Islands gepackt hatte. Alles, was sie für eine Woche im Paradies zu brauchen geglaubt hatte.
Sie zog das Brautkleid aus und legte es über einen Sessel, wo es weiß und leblos lag. Nutzlos. Sie schaute in ihren Koffer, auf die ordentlich in Seidenpapier eingeschlagenen zerbrochenen Träume. Da verließen sie die letzten Reste ihrer Selbstbeherrschung. Nur in Unterwäsche setzte sie sich aufs Bett und ließ ihren Tränen endlich freien Lauf.
Lydia Warrenton war ganz anders als ihre Tochter. Sam hatte es in demselben Moment gesehen, in dem die Frau die Tür geöffnet hatte. Mit ihrem makellosen Make-up, der kunstvollen Frisur und dem grünen Kleid, das ihre körperlichen Reize raffiniert zur Geltung brachte, hatte Lydia nichts mit der Braut gemein. Natürlich gab es eine äußerliche Ähnlichkeit. Sowohl Lydia wie auch Nina hatten das gleiche schwarze Haar, die gleichen dunklen, von langen dichten Wimpern umrahmten Augen. Aber während Nina etwas Weiches, Verletzliches an sich hatte, wirkte Lydia unnahbar, als wäre sie von einem schützenden Kraftfeld umgeben, an dem jeder, der sich ihr zu sehr näherte, abprallte. Natürlich sah sie sehr gut aus und war nicht nur gertenschlank, sondern – dem äußeren Eindruck nach zu urteilen – auch noch vermögend.
Das Haus war ein wahres Antiquitätenmuseum. In der Auffahrt hatte ein Mercedes geparkt. Und vom Wohnzimmer aus hatte man einen herrlichen Blick aufs Meer. Einen Eine-Million-Dollar-Blick. Lydia hatte auf dem Brokatsofa Platz genommen und deutete jetzt auf einen Sessel. Der Stoff wirkte so makellos, dass er den Drang hatte, erst seine Hose abzuklopfen, bevor er sich in die Polster sinken ließ.
„Eine Bombe“, murmelte Lydia, den Kopf schüttelnd. „Ich fasse es einfach nicht. Wer kommt auf die Idee, eine Kirche zu zerbomben?“
„Wir versuchen es herauszufinden, Mrs. Warrenton. Vielleicht können Sie uns ja helfen. Können Sie sich vielleicht denken, warum jemand auf die Good Shepherd Church ein Bombenattentat verüben könnte?“
„Ich weiß nichts über diese Kirche. Ich gehöre ihr nicht an. Es war meine Tochter, die dort heiraten wollte.“
„Sie klingen nicht begeistert.“
Sie zuckte die Schultern. „Meine Tochter hat ihren eigenen Kopf. Ich hätte eine … etabliertere Institution gewählt. Und eine längere Gästeliste. Aber so ist Nina nun mal. Sie wollte es klein und schlicht.“
Schlicht ist Lydia Warrentons
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