Die englische Rebellin: Historischer Roman (German Edition)
1
Caversham, Berkshire, der Landsitz der Familie Marshal, Januar 1204
»Das ist ungerecht!« Die zehnjährige Mahelt Marshal funkelte ihre älteren Brüder finster an, die in ihr Spiel vertieft und dabei waren, eine feindliche Burg anzugreifen. »Warum kann ich kein Ritter sein?«
»Mädchen sind keine Krieger«, erwiderte Will mit der überheblichen Selbstsicherheit eines fast vierzehnjährigen Jungen, der der Erbe der Grafschaft Pembroke war.
Sie versuchte, die Zügel seines Pferdes zu packen, und er zog sie rasch weg. »Mädchen bleiben zu Hause, sticken und bekommen Kinder. Nur Männer ziehen in den Krieg.«
»Frauen müssen die Burg verteidigen, wenn ihre Männer nicht da sind«, schoss Mahelt zurück. »Mama tut das – und ihr müsst ihr gehorchen.« Sie warf den Kopf in den Nacken und sah Richard an. Er war zwölf und ließ sich manchmal dazu bewegen, ihre Partei zu ergreifen, aber heute sprang er ihr nicht bei, obwohl sich sein sommersprossiges Gesicht zu einem breiten Grinsen verzog.
»Aber sie muss unserem Vater gehorchen, wenn er zurückkehrt«, trumpfte Will auf. »Papa schickt sie nicht mit einer Lanze los, während er selbst daheimbleibt, nicht wahr?«
»Ich kann ja so tun, es ist ohnehin nur ein Spiel.« Mahelt war fest entschlossen, nicht klein beizugeben. »Und du bist noch kein Mann.«
Richards Grinsen wurde noch breiter, als Will errötete.
»Na schön, aber sie ist kein Ritter, und sie reitet Equus nicht.«
»Natürlich nicht.«
»Sie kann ein Franzose sein. Wir sind die Engländer.«
»Das ist ungerecht«, protestierte Mahelt erneut.
»Dann spiel eben nicht mit«, erwiderte Will gleichmütig.
Mahelt warf ihren Brüdern einen erzürnten Blick zu. Sie wollte zu gern Wills neues Pferd reiten, weil es ein großes, kräftiges Tier mit schimmerndem Fell war, kein Pony. Sie wollte wie Will mit ihm über Hecken springen und herausfinden, wie schnell es galoppieren konnte. Sie wollte den Wind in ihrem Haar spüren. Will hatte es Equus genannt, was, wie er sagte, die lateinische Bezeichnung für »Schlachtross« war. Richards sanftmütiger Grauer stellte nicht dieselbe Herausforderung dar, und für ihren untersetzten kleinen Kastanienbraunen, der mit einer Muskelzerrung im Bein im Stall stand, war sie schon fast zu groß. Mahelt wusste, dass sie genauso gut reiten konnte wie ihre beiden Brüder.
Sie seufzte und stapfte missmutig davon, um ihre »Burg« zu verteidigen, für die die Hütte des Hundepflegers herhalten musste. Hier wurden die Halsbänder und Leinen der Hunde, alte Decken, Jagdhörner, verschiedene Gerätschaften, Körbe und Tiegel aufbewahrt. Auf einem Regal in Mahelts Augenhöhe standen bauchige irdene Töpfe, die Salbe zur Behandlung von Wunden enthielten. Mahelt nahm einen davon herunter, hob den Deckel aus geflochtenem Stroh an und schrak im selben Moment vor dem Gestank von ranzigem Gänsefett zurück, der ihr entgegenschlug.
»Bist du so weit?«, hörte sie Richard rufen.
Den linken Arm um den Topf geschlungen kam Mahelt aus dem Schuppen und trat den Jungen, die ihre Pferde bestiegen,
energisch entgegen. Beide hielten aus Eschenholz gefertigte provisorische Lanzen in den Händen und hoben ihre kleinen Schilde. Unter wildem Geschrei griffen die Brüder an. Da Mahelt wusste, dass sie damit rechneten, dass sie den Mut verlieren und in den Schuppen fliehen würde, wich sie nicht von der Stelle. Sie griff nach einer Hand voll Fett, das sich kalt und glitschig zwischen ihren Fingern anfühlte, und schleuderte es den heranpreschenden Pferden entgegen. Will duckte sich hinter seinen Schild, der den ersten Klumpen abfing, aber der zweite flog darüber hinweg und traf seinen Umhang und seinen Hals. Der nächste Wurf klatschte gegen die Schulter von Richards grauem Pferd. Da er Mühe hatte, das scheuende Tier unter Kontrolle zu bekommen, konnte er sich nicht mit den Händen schützen, und der vierte Fettklumpen landete mitten in seinem Gesicht.
»Hah! Ihr seid beide tot!« Mahelt hüpfte triumphierend auf und ab. »Ich habe gewonnen, ich habe gewonnen!« Ihre Augen glühten. Sie hatte es ihnen gezeigt.
Will sprang blitzschnell von seinem Pferd. Mahelt schrie auf und versuchte in den Schuppen zu flüchten, aber er war schneller und packte ihren Arm. Sie fuhr in seinem Griff herum, schlug mit ihrer mit Salbe bedeckten Hand nach seiner Brust und schmierte ranziges Fett auf seinen Umhang.
»Es ist ehrlos, eine Lady zu schlagen!«, schrie sie, als er drohend eine Faust
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