Angstblüte (German Edition)
kriegte auch noch einen, Cheerio, sagte sie, und Karl, der lieber Prosit gesagt hätte, sagte auch Cheerio.
Besser, als du es gesagt hast, kann man es nicht sagen, sagte sie, es ist so furchtbar.
Karl spürte, daß Diego für Gundi jetzt tot war. Er mußte jetzt von Diego reden. Er fing an: Daß wir nach so vielen Freundschaftsjahren auch noch in einer Firma zusammengefunden haben, war eher ein Zufall. Aber Zufälle gibt’s eben nicht. Schon komisch, daß ich die ganze Tennis-Chose dem Amadeus Stengl verdanke. Der ruft mich eines Tages an und sagt: Du, jetzt hab ich was für dich, so was, wie für mich noch keiner gehabt hat. Du kennst ja seine Sprüche. Dann schickt er mir den Ingenieur Ignaz Gruber, gerade ungut bei Kneissl ausgeschieden, aber dort beteiligt an der Entwicklung von White Star, Red Star und Blue Star. Mit White Star hat sich Ivan Lendl in einer Saison von Platz 78 unter die ersten zehn gespielt. Beim Magic Allround gab’s dann Zwist. Und dieser Ignaz hat einen Schläger in petto gehabt, hundert Prozent Graphit, vor allem aber die neue Form. Das hatte er noch bei Kneissl am Schlag-Simulator erkannt, daß achtzig Prozent aller Bälle auf dem unteren Teil der Schlagfläche landen, also macht er diesen Teil breiter. Und eine Bespannung, zusammen mit Kuebler entwickelt, wie überhaupt Kueblers Plus 40 Grubers Vorbild war. Fastest Racket in the World , so der Slogan. Gruber hatte sein Racket zuerst in den USA angeboten, bei Kent , der klassischen Firma in Pawtucket, Rhode Island, die waren zum Glück taub. Und ich hatte gerade Helen, geborene Wieland, geheiratet, und ihr Vater, der sich viel hatte einfallen lassen, das Vermögen, das er seinem einzigen Kind hinterließ, vor unsoliden Schwiegersöhnen zu schützen, war gerade gestorben. Aber ich hätte Ignaz Gruber auch ohne Helens Vermögen finanzieren können. Dann der Tennis-Boom der neunziger Jahre. Wir waren jedes Jahr mit einem neuen Schläger auf dem Markt. Auch wenn Steffi Graf und Boris Becker schon vergeben waren, Diego entwickelte Strategien, als habe er sein Leben lang Rackets verkauft. Produziert wurde in Kuala Lumpur. Selbst für Diegos Verhältnisse wurde gut verdient. Wir saßen in der vordersten Reihe in Wimbledon und jubelten, wenn Boris den Ball cross an Edberg vorbeijagte, und der Atem stockte uns, wenn Steffi Graf die Rückhand der Sabatini umlief, ihre rechte Ecke freigab und die Sabatini mit einem Longline-Schlag den Punkt machte. Wir waren überall. November 89 im Madison Square Garden, Steffis zweiter Sieg im Master’s Turnier, und Martina Navratilova, die zum dritten Mal von Steffi Geschlagene, sagt: Steffi hat mir die Freude am Tennis zurückgegeben. Das ist Humanität! Wir haben natürlich gehofft, wir könnten Steffi vielleicht doch noch den Dunlops abspenstig machen. Ging nicht. Egal. Wir blieben dran. Wir waren dabei, anno 92, als sich Boris in Paris zum ersten Mal mit Zweitagebart präsentierte. Und wir haben uns Hoffnungen gemacht, als Goran Ivanisevic den Ball, bevor er ihn zum Aufschlag hochwarf, an unserer Bespannung schnuppern ließ. Überhaupt Ivanisevic! Er schlug immer nur mit dem Ball auf, mit dem er einen Punkt gemacht hatte, die anderen Bälle steckte er in die Tasche. Dann Pete Sampras, Ballgeschwindigkeit 194 Kilometer. Boris brachte da nur noch 184. Weißt du, das Tennisgeschäft paßte in meine Biographie so wenig wie in die von Diego. Ich wollte nie Geld gegenständlich verdienen. Und Diego wollte Geld nur mit den schönsten und größten Stücken der Vergangenheit verdienen. Wir haben uns hinreißen lassen. Aber so hätte es nicht enden dürfen. Das ist so furchtbar.
Und in die Pause hinein wieder: Gundi.
Ihre Augen waren immer noch diese Flüssigkeit. Hätte er etwas gegen Diego sagen sollen? Das war unvorstellbar. Aber in ihm fand eine Vorstellung zusammen, in der Gundi nackt war. Er hätte doch viel zu sagen gegen Diego beziehungsweise Lambert. Der hatte ihn doch seit Jahren nur noch behandelt wie Dreck. Und es war ganz unmißverständlich, daß sich Lambert der kulturellen Fraktion angeschlossen hatte. Das waren Leute, die den Geldhandel, das Investitionswesen und die Spekulation verachteten. Karl hätte diese Selbsttäuscher auch verachten können. Er verachtete sie nicht. Die waren einfach befangen, kulturell befangen. Die glaubten sich, daß sie Kunst um der Kunst und Politik und Wissenschaft um der Politik und um der Wissenschaft willen betrieben. Natürlich alles immer zum Wohl der Menschen
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