Angstblüte (German Edition)
sie zu sprechen aufgehört, saß da mit geschlossenen Augen und sog an ihrer bulgarischen Zigarette, als könne sie sich so aus der Welt hinaussaugen. Sie rauchte, solange sie noch rauchte, nur bulgarische Zigaretten. Wenn man sie fragte, warum, rief sie: Muß man denn immer wissen, warum man etwas tut! Nach diesem unendlich tiefen Zug aus der bulgarischen Zigarette ließ sie die Augen aufgehen wie ein Gestirn und sagte vollkommen sanft, sie habe mit ihrem Bedauern, die Ethno-Psychoanalyse verlassen zu haben, nichts gegen das Fernsehen sagen wollen.
Das war ihre Natur, das war sie selber ganz und gar, diese nichts übersehende Ausgeglichenheit. Zu ahnen war, welche Kräfte in ihr gegeneinander kämpften. Auf dem Bildschirm demonstriert sie, wie sehr man mit sich im reinen sein kann, aber das Pathos, das ihr unwillkürlich eigen ist, verrät, daß sie nichts geschenkt bekommen hat. Und eben das macht ihr grenzenloses Einverstandensein mit sich selbst schön. Dazu gehört, daß das immer nur für diesen Augenblick gilt. Gerade jetzt schwimmen die schwarzen Augen im weißen Gesicht wie ruhige Feuer. Der Mund, eine Fülle der Gelassenheit. Bis auf die dann doch noch jäh abfallenden Mundwinkel. In jedem Interview sagt sie: Was sie bei Max Staub gelernt habe, könne nirgends so fruchtbar werden wie im Fernsehen. Als müsse sie sich selbst immer wieder beweisen, wie richtig es gewesen sei, die Ethno-Psychoanalyse zugunsten des Fernsehens im Stich zu lassen. Wie richtig das war, bestätigen ihr die Zuschauer seit mehr als zehn Jahren, eben seit es Zu Gast bei Gundi gibt.
Karl war jetzt voller Bewunderung für die Frau, die viel zu schnell fuhr, alles mit der Linken erledigte und die Rechte demonstrativ beschäftigungslos ließ. Obwohl das nichts mit ihm zu tun hatte, dachte er, daß Gundi ihm demonstriere, was diese Rechte alles tun könnte. Natürlich dachte Gundi nichts dergleichen. Und er auch nicht. Aber er konnte nicht verhindern, daß er doch daran dachte. Gewissermaßen um sich gegen Gundis Gegenwart zu wehren, sagte er sich: Wenn es taghell ist, sieht sie verblüht aus. Abends, ob bei Diego oder auf dem Schirm, ist sie schön. Tageslicht ist nichts für sie. Sobald die Sonne weg ist, ist sie schön. Dabei konnte er bleiben.
Das schwere, von zwei Türmchen umstandene Tor wich vor ihnen zurück, ebenso hob sich schon das Garagentor, Gundi fuhr bis zur Garagenstirnwand.
Komm, sagte sie und öffnete weitere Tore und Türen per Fernbefehl.
Gundis Reich war das Parterre. Lichtarm, aber farbig, das war ihr Lebensbühnenbild. Sie hätte am liebsten nur Bilder von Tamara de Lempicka um sich gehabt. Aber die konnte man nirgends mehr kaufen. Immerhin, das Selbstportrait mit Bentley hatte Diego dem internationalen Markt entreißen können. Aber Giorgio de Chirico und Georges Braque und Jan Mahulka lieferten auch Stimmungen, in denen sie sich daheim fühlte.
Gundi führte Karl hinaus in den Wintergarten. Der Wintergarten war taghell und so voller Pflanzen und Blumen, daß man in einem Gewächshaus war. Auch Orchideen fehlten nicht. Hier wurde auf einem Tisch, dessen Platte aus alten Kacheln bestand, der Tee serviert. Gundi hatte ihn während der Fahrt per Autotelefon bestellt. Zwei hauchleicht auftretende Thaimädchen servierten. Zum Tee gab es Häppchen, die genau so überraschend schmeckten, wie sie aussahen.
Die Thaimädchen, die man unwillkürlich für Zwillinge halten mußte, traten immer nur zusammen auf und auch da enger nebeneinander, als es nötig oder auch nur praktisch war. Varieté, dachte Karl. Er war schon länger nicht mehr Gast gewesen im Bonsai-Schloß. Das letzte Mal hatten zwei südamerikanische Indios serviert. Auch zwillingshaft. Das war wohl Gundis Vorliebe. Vielleicht weil sie keine Kinder hatte. Oder aus ethno-psychoanalytischem Interesse. Gundi lächelte den Thaimädchen zu, als sei dieses Lächeln für die eine Information. Aber auch Applaus.
Ach, Karl, sagte sie. Er nickte. Sie tranken darauf, daß Diego noch einmal davonkomme. Aber Gundi ließ spüren, daß sie an kein Davonkommen mehr glaube. Und fing an: Sie müsse Karl jetzt doch noch sagen, daß Diego in der ersten Nacht alle Leitungen heruntergerissen und die Schläuche durchgeschnitten habe. Er habe das Gefühl gehabt, fliehen zu müssen. Die Zimmerdecke senkte sich auf ihn herab. Zum Glück kam die Nachtschwester. Er schrie sie an: Strecken Sie Ihren Arm nach oben! Tatsächlich, er sah, die Hand der Nachtschwester steckte bis zum
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