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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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in Konzerte ging Diego nicht mehr, weil Gundi fand, das Konzertpublikum heuchle. Das machte sie nervös. Karl ging nie ohne Krawatte aus dem Haus. Wenn Diego dann auch noch den obersten, manchmal sogar auch noch den zweitobersten Knopf offenließ, kommentierte Karl: Oben ohne, was! Bei Karl hatte sich ein Schrank voller Krawatten angesammelt, weil er eine Krawatte, nur weil er sie nicht mehr trug, nicht wegwerfen konnte. Er kaufte immer mehr Krawatten, als er tragen konnte. Die Häuser Lavin, Versace, Leonardo, Monsieur Élysée, Armani, Missoni und andere, auf die er geschmacklich abonniert war, hielten ihn mit immer noch prächtigeren Kreationen in Atem. Also mehrten sich im Krawattenschrank auch die ungetragenen Krawatten. Nur auf die Tennisplätze war er ohne Krawatte gegangen. Das war vorbei.
    Karl und Gundi saßen nebeneinander an der Bar, die zwei Thaimädchen standen wie zusammengewachsen hinter der Bar, so freundlich wie ernst. Gundi bestellte einen Tomatensaft.
    Und du, sagte sie.
    Ich, sagte Karl, lebe neben mir her.
    Ein Glas Dom Pérignon für meinen Freund, sagte Gundi.
    Als Karl das Glas in der Hand hatte, sagte sie: Ach, Karl.
    Ich weiß, sagte der.
    Und sie: Manchmal muß man sich Mühe geben, nicht zu sehr verstanden zu werden.
    Ich weiß, sagte Karl.
    Und sie: Manchmal merkt man, man wäre ruiniert, wenn einen der andere verstünde.
    Genau, sagte Karl.
    Alles hat immer mehr Gründe, als man sagen kann, sagte sie.
    Sogar als man weiß, sagte er.
    Woher weißt du das, sagte sie fast heftig.
    Von dir, sagte er.
    Sie sah ihn an, als müsse sie sich jetzt zusammennehmen. Dann löste sie sich und sagte: Diego hat im vergangenen Jahr und im Jahr davor scheußlich wenig verkauft.
    Karls Gesicht verzerrte sich, als tue ihm plötzlich etwas weh.
    Und dann die Brienner Straße, sagte sie, was die kostet.
    Karl nickte.
    Daß er Trautmann Titan verkaufen will, ist keine Laune, sagte sie. Sammler, die er zu Persönlichkeiten entwickelt hat, zu Sammlerpersönlichkeiten von internationalem Ruf, die stellen sich jetzt taub. Stücke, für die sie vor zwei Jahren hätten das Doppelte bezahlen müssen, nehmen sie jetzt nicht für die Hälfte. Bitte, typisch, du kennst sie auch, die Leonie von Beulwitzen, die diesen Tick hat: nur Landschaften großer Meister, aber es darf kein Mensch drauf sein. Menschen stören mich, sagt die dreimal Geschiedene, die unser Freund und Formulierer Amadeus Stengl die Scheidungsgewinnlerin nennt. Diego hat sie in die Schweiz gelenkt. Jedes Jahr für eine knappe Million. Segantini oder Hodler oder Anker. Und jetzt, Diego bietet ihr einen Segantini für neunhunderttausend. Sie winkt ab. Sie will jetzt mehrere Jahre Geld nur noch für Precious Woods ausgeben. Edelholz-Aktien, ökologisch einwandfreie Renditen. Falls du so was hast, biete es ihr an. Ich werde nächsten Donnerstag noch einmal reden mit ihr. Läßt sich zehn Jahre bedienen, schwelgt in den menschenlosen Bächen und Bergen von Hodler und Segantini, und jetzt Edelhölzer. Diego fürchtet allmählich um sein Charisma, sein spell, schlicht seine Potenz. Das ist der Horror überhaupt. Wenn er nicht mehr an sich glaubt, glaubt kein Mensch mehr an ihn. Das ist der Ruin.
    Zuerst muß er jetzt gesund werden, sagte Karl.
    Ich finde, du hast fabelhaft reagiert, sagte sie.
    Er fragte, wie sie das meine.
    Daß du den Verkauf sofort bejaht hast, sagte sie.
    Es ist Diegos Firma, sagte Karl.
    Aber du hast sie gegründet, sagte sie.
    Und Diego hat sie groß gemacht, sagte er. Einhunderttausend TOP FIT an Tchibo ! Das war sein Einstieg. Ein echter Diego-Coup. Ich wäre nie über die Sportgeschäfte hinausgekommen.
    Auf Diego, sagte sie, den größten Liebling aller Zeiten.
    Auf ihn, sagte Karl.
    Sie tranken, saßen stumm, aber einander zugewandt, dann glitt sie von ihrem Barhocker, kam zu Karl hin, nahm seine beiden Hände und sah ihn so an, daß er wegschauen mußte. Sie griff an sein Kinn, holte sein Gesicht zurück und sah ihn weiterhin so an, daß es nicht auszuhalten war. Ihre ohnehin dunklen Augen schimmerten wie eine Flüssigkeit. Offenbar weinte sie. In diesem Licht war sie wieder schön. Nichts als schön. Dann zog sie ihn vom Hocker, zog ihn zu sich hin und flüsterte: Solche Freunde zu haben ist eine Auszeichnung. So ungeschützt pathetisch konnte nur Gundi daherreden.
    Karl mußte sagen: Bitte, nicht übertreiben.
    Feigling, sagte sie.
    Das ist weniger übertrieben, sagte er.
    Sie ließ sich auch einen Dom Pérignon geben, Karl

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