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Angstblüte (German Edition)

Angstblüte (German Edition)

Titel: Angstblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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oder gar der Menschheit. Daß sie alles nur um des Geldes willen betrieben und das Geld nur das Mittel war, um Frauen zu bekommen, daß also alles, was überhaupt stattfand, wegen der Frau stattfand, das wurde nicht mehr erlebt und schon gar nicht gestanden. So raste es in ihm. Und immer wieder: Gundi nackt. Gundula Powolny. So mußte sie heißen, der Name war wie ein Körperteil, ein weiblicher Körperteil. Rundweichfließend. Gundipowolny.
    Er mußte jetzt noch einmal über Diego reden. Egal, was dabei herauskam. Selbst die Wahrheit durfte es sein. Weißt du, Gundi, du weißt es natürlich nicht, und für dich ist es, ich weiß nicht, was es für dich ist, aber Diego und ich, wir haben von Anfang an auseinandertendiert. Ich, angefüllt von Flausen, Diego mit einer genialen Nase für das Mögliche. Nicht beneidenswert zu sein, mehr kann man nicht erreichen. Das war mein Spruch, wenn wir nachts betrunken durch den Englischen Garten taumelten und einer den anderen in die Isar stieß und sofort nachsprang und ihn wieder herauszog. Diego wollte beneidenswert sein. Beinahe hätte ich jetzt gesagt, sonst hätte er ja dich nicht geheiratet. Als wir uns kennenlernten, sagte er, bevor er wissen konnte, wie das auf mich wirken würde, er halte es mit Oscar Wilde: Die Anzahl meiner Neider bestätigt meine Fähigkeiten. Diego hatte eine Menge Sprüche im Kopf, die alle nur hießen: Es lohnt sich nicht, der Zweite zu sein. Ich wollte lieber lächerlich als beneidenswert sein. Willst du es wirklich besser haben als andere, habe ich ihn gefragt. Er hat mich ausgelacht. Du spekulierst immer noch auf den christlichen Mehrwert, sagte er. Diego war von Anfang an beneidenswert. Ihm machte es nichts aus, Theaterwissenschaft zu studieren, ohne je etwas mit Theater zu tun haben zu wollen. Kunstwissenschaft genauso. Die erste Firma, die er noch als Student drüben in Haidhausen gründete, war ein Versandhaus für aussterbende oder ausgestorbene Artikel. Alles, was sonst nicht mehr ging, ging, wenn Diego es anbot. Er kaufte bei bankrotten Firmen die Artikel, an denen diese Firmen bankrott gegangen waren, und ließ sie in seinen Katalogen auferstehen. Der Katalog der Dinge. Wurde Kult. Diego war leidenschaftlich nostalgisch. Kein kalter Kalkulator, sondern ein aller Vergänglichkeit widerstehender Mensch. Mich hat er eingeladen, an diesem Kampf gegen das Vergehen mitzumachen. Meinen Bruder Erewein hatte er schon vorher entdeckt. Haidhauser Nachbarschaft. Ob Feuerzeug oder Auto, Diego machte das aus der Mode Gekommene zum Wert, zum Schönheitswert. In seinen Katalogen wurde alles, was unansehnlich geworden war, wieder schön. Schöner, als es gewesen war, als es noch in Mode war. Ich schrieb eine Zeit lang die Texte zu den Bildern, die mein Bruder Erewein unter dem Pseudonym YX fotografierte. Seine Fotos waren magischer Realismus. Jede Damenhandtasche hatte Aura, jeder Liegestuhl eine Gloriole aus Licht und Einsamkeit. Nach ein paar Jahren veranstalteten Galerien Ausstellungen mit Ereweins Bildern. Niemand, stand dann in der Zeitung, könne Gegenstände feiern wie Lambert Trautmann und YX. Als dann auch noch Beuys für den Katalog der Dinge ein Vorwort schrieb, war Diego angekommen. Er wechselte ganz allmählich zum luxe subtil und dann zum Nichtsalsschönen, zum unanzweifelbar Schönen. Und weißt du, was ich an Diego am meisten bewundere? Seine Geradlinigkeit. Er sagt immer, was er will. Als er dich wollte, hat er zu dir gesagt: Ich will Sie. Ich habe immer versucht, von ihm zu lernen. Im Geschäft. Keine Tricks. Egal, ob Gegner oder Klient, den anderen verblüffen durch Geradlinigkeit. Ich will Sie übervorteilen, wehren Sie sich. Das kann er sagen. Nichts ist ihm so fremd wie Betrug. Ich hab’s gelegentlich versucht, bei mir wird’s immer zur Groteske.
    Es ist so furchtbar, sagte Gundi. Sie müsse sich vorbereiten. Morgen hat sie Sendung. Und in der letzten Nacht habe sie geträumt, daß Stalin ihr die Fußnägel schneide. Das könne sie morgen brauchen, sie hat nämlich morgen einen Gast, der die Welt verachtet, weil die Welt ihn enttäuscht hat. Zwar Milliardär, finanziert aber nur noch, was die Nächstenliebe in der Welt steigert. Den will sie nach seinen Träumen fragen. Seit Stalin ihr im Traum die Fußnägel geschnitten hat, weiß sie, daß von jetzt an in jeder Sendung nach den Träumen gefragt wird. Mach’s gut, lieber Karl. Ich beherrsche mich, sonst würde ich sagen: Liebster Karl.
    Karl dachte sofort: Liebster, das ist doch

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