Angstblüte (German Edition)
Nachfolgerinnen der Opfertiere verhöhnt, die, bevor sie geschlachtet wurden, geschmückt worden waren. Die Ethnologin drehte auf. Je auffälliger der Schmuck, desto bedauernswerter die Frau. Dann die Sensation: Sie schwenkt den Arm mit dem Armband vor die Kamera, gibt sich geschlagen, bekennt Ignoranz, Unreife, Vorurteil, Borniertheit und ist geheilt davon durch nichts als Liebe. Bloß keine Theorien! Bloß keine Rechthaberei! Bloß keine maßgebende Meinung, Haltlosigkeit, liebe Schwestern! Und, falls ihr’s schafft, auch ihr, Brüder! Und begleitete ihre Reden mit dem Platinarmband, das unter dem halblangen Türkisärmel ziemlich authentisch wirkte. Und gestand, daß sie von der Frauenarmee der Schmucklosen desertiere. Eine Desertion mehr. Und das wegen dem Kerl, der einem so etwas Fabelhaftes antut. Und hatte noch hingewiesen auf die winzige Silberspur um ihren Hals. Diese Nichthalskette, diese Nichtsalssilberspur habe sie ihrem Hals zugemutet, um das Armband nicht ganz allein siegen zu lassen. Gundi kriegte jede Kurve, weil sie dazusagte, daß sie jetzt wieder in einer Kurve liege. Schleudergefahr, rief sie dann. Und bat die fabelhaften Mitmenschen, über sie nicht zu urteilen, solange sie noch lebe.
In der Sendung nach der Kapitulation vor dem Armband begrüßte sie zum ersten Mal das neue Sofa, das Ruhlmann-Sofa. Sie, die Göttin in Türkis, ließ sich auf das champagnerfarbene Velours fallen und reckte und streckte und bog und krümmte sich wie neugeboren. Bis dahin hatte sie auf einem strengen, schwarzen, dänischen Ledersofa agiert. Ein edles Stück, Baujahr circa 1960, aber überhaupt kein Showstück. Dann also das Champagnervelours im goldverzierten Palisander. Und wieder war es ihr Liebster, dem sie das verdankte. Der habe ihr schwarzes Sofa nicht gut gefunden, also habe er ihr kurzerhand bei einer Auktion von Sotheby’s in Monaco das Ruhlmann-Prachtstück gekauft. Das ist jetzt ihre Welt. Aber – und das erregte Karls Eifer – sie sagte nicht dazu, daß Diego, den sie nie beim Namen nannte, das Sofa dem Fernsehen vermietet hatte. Auch als man abends noch zusammenfand, wurde nicht erwähnt, für wieviel Diego das Sofa vermietete. Wenn schon von allem die Herkunft, dann, bitte, mit Preis, liebe Gundi! Fernsehgetue. Sie ist das leibhaftige Fernsehen. Na und? Sie tut nicht so, als ginge es um Nachrichten, Informationen und dergleichen. Es geht nur ums Angeschautwerden. Von einer Million oder zwei Millionen Menschen. Jeder Zuschauer erlebt an dem, den er anschaut, das Angeschautwerden. Und nimmt teil. Ist, solange er anschaut, ein Angeschauter. So weit hat es keine der Vorgängerreligionen gebracht. Jetzt und in alle Ewigkeit. Zu Gast bei Gundi.
4.
Hinter den zusammengewachsenen Mädchen hergehend, kam Karl wieder hinaus. Das Prinzip war tatsächlich: Je weiter man hinauskam, desto heller wurde es. So daß man vom Tageslicht – und heute war es Münchens frühlingsgemäß hellstes – nicht geblendet wurde. In die Steinstraße, Haidhausen, sagte er zum Taxifahrer, der höchstens von halb so weit her war wie die Thaimädchen.
Er mochte Taxifahrer, weil klar war, daß sie ihre Arbeit nur taten, um Geld zu verdienen. Da konnte auch der kulturell Befangenste nicht auf die Idee kommen, sie täten diese Arbeit, um Menschen möglichst harmonisch von der sauerstoffreichen Osterwaldstraße in die Blechschlucht Klenzestraße zu befördern. Deshalb fügte er dem Preis jedesmal das Doppelte als Trinkgeld dazu und produzierte eine Solidaritätsnummer, die ausdrücken konnte, er habe auch einmal als Taxifahrer angefangen, also komm, Kumpel, mach’s gut. Aber er setzte sich nie neben den Fahrer. Die waren alle mindestens so sauber wie er. Trotzdem. Er saß hinten.
Mußte er jetzt so tun, als sei es schlimm, daß er sich Gundi nackt vorgestellt hatte? Was war das bloß für ein Gespräch gewesen? Gundi konnte einen anschauen, daß einem anders wurde. Aber wenn man sich benähme, wie die einen anschaute, dann gäbe sie sich wahrscheinlich erstaunt und entsetzt. Die Frau des besten Freundes! Des ehedem besten Freundes! Hätte er versuchen sollen … Diego hätte es in einer vergleichbaren Lage versucht. Nicht mit Helen. Um es grob zu sagen: Helen war zu fein für Diego. Jenseits seiner sexuellen Wahrnehmbarkeit. Aber wenn Karl eine Gundi vergleichbare Frau gehabt hätte, Diego hätte es versucht und getan. Diego tat eben immer das, was er tun wollte. Diese Unverblümtheit kam an als Notwendigkeit. Karl war alles
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