Animal Tropical
auf.«
»Aha.«
Dann male ich ein bisschen. Es ist still und ruhig in diesen Tagen, und ich nutze die Gelegenheit, dass ich mich konzentrieren kann. Die Einsamkeit. Vielleicht schreibt und malt man nicht nur, um sich einen Freiraum zu schaffen, sondern auch, um sich in Begleitung zu fühlen. Nicht etwa, um die Einsamkeit zu brechen. Darum geht’s gar nicht. Die Einsamkeit ist immer da. Ich spüre sie, berühre sie, spreche mit ihr. Sie ist ein Teil meines Lebens. Die Einsamkeit ist unvermeidlich. Und sie hilft. Ich konzentriere mich besser. Ich bin mehr ich selbst, wenn wir dicht beieinander sind, die Einsamkeit und ich. Wir verehren uns. Ich könnte nicht leben ohne die Einsamkeit.
Dieser Tage male ich in Grau, Schwarz, Ocker, verschiedenen Sepiastufen. Von Rot will ich nichts wissen. Und noch viel weniger von Blau, Grün und Gelb. Ich male etwas wild. Das passiert mir immer wieder. Die Malerei lockt meinen Zorn hervor. Und der Zorn vermischt sich mit der Malerei. Entweder sind sie antagonistisch, oder sie können nicht ohne einander leben. Sie lieben oder sie hassen sich. Ich weiß nicht. Es ist sehr konfus, und ich habe schon aufgegeben zu verstehen, was zwischen beiden vor sich geht.
Am späteren Morgen frischt ein starker Wind auf. Sofort bewölkt sich der Himmel. Das Meer kräuselt sich. In kaum einer halben Stunde verändert sich alles. Tosend bricht sich die Brandung an der Mauer des Malecón und zerstäubt Salpeter über der Stadt. Ich schließe die Fenster. Hier auf dem Dach bläst es. Ich muss die Fenster von innen verriegeln. Richtig fest. Regen und Wind nehmen zu. Das erste Wasser dringt durch die Fenster ein und fließt über den Boden in die Ecke, in der ich male. Schnell sammele ich alle meine Malutensilien ein und verteile sie übers Bett. Das Wasser lasse ich weiterlaufen. Ich werde es aufwischen, wenn der Regen nachlässt. Der Wind nimmt von Norden her zu. Meine Tür geht nach Osten. Ich schaue hinaus und sehe, wie der Sturm über dem Meer und der Stadt wütet. Der Leuchtturm der Morro-Festung ist inmitten der Wasserhose fast nicht auszumachen. Alles ist grau geworden, und die Temperatur sinkt. Mir wird kalt. Ein rotes Schiff verlässt den Hafen. Schwer beladen mit Containern. Ein großer Frachter ist es nicht. Er transportiert vielleicht gerade mal sechzehn Container. Seine Abfahrt ist dramatisch, träge, gepeinigt von Wind und Wellen. Seine Maschinen krepieren fast, aber er kämpft weiter an gegen die Wut der Karibik. Der Kapitän will sich vor seiner Mannschaft nicht blamieren, will zeigen, dass sein Schiffchen zwar klein, aber mutig und stark ist. Er könnte die Abfahrt so lange verschieben, bis sich der Sturm gelegt hat, aber das ist eines Seemannes nicht würdig. Und so tuckert das rote Schiffchen inmitten der kalten, grauen Regenböen die Wellen auf und ab, die über sein Deck hereinbrechen und gegen seine Container schlagen. Es ist ein herrlicher Anblick. Das kleine Ding, rot, wagemutig, mit allen seinen Muskeln darum kämpfend, den Hafen unter dem grauen Sturm würdevoll zu verlassen. Der tosende Sturm, der es kieloben sehen will, und das kleine Ding, das sich nicht abhalten lässt und zähnefletschend volle Fahrt voraus fährt.
Über den Innenhofschacht des Gebäudes dringt das Armreifgeklimper Glorias zu mir herauf. Sie fegt aus und schimpft. Ihr Geschrei mischt sich mit der Stimme eines Sängers, beide haben rasendes Tempo. Roberto Carlos, José José, ich weiß nicht genau. Ein Sänger. Immer schreit irgendein Sänger in ihrer Wohnung. Probleme von Liebe und Betrug. Bestimmt dringt auch bei ihr der Regen durchs Fenster und überschwemmt die Wohnung. Ihre Armreifen klingen glockenhell. Vielleicht sind sie aus mexikanischem Silber. Ich höre sie gern. Sie klimpern, wenn sie das Geschirr wäscht, ausfegt oder aufwischt. Immer klimpern sie. Ich wohne auf dem Dach, zusammen mit ein paar Nachbarn, denen ich aus dem Weg gehe. Ich interessiere sie nicht, und sie interessieren mich nicht. Das Dachgeschoss entspricht einem achten Stock. Gloria wohnt unten im siebten. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Sohn sowie einem Radio und einem Plattenspieler, die ständig im Einsatz sind, und tausenden Verwandten, die kommen und gehen. Es sind Cousins, Neffen, Patenkinder, Onkel, Schwäger, Schwiegertöchter, Brüder, Schwiegersöhne, Nachbarn der Onkel, Patenkinder der Brüder, Verlobte von Neffen, Söhne von Cousins mit ihren Frauen und Kindern. Der göttliche Hostienkelch. Sie kommen aus allen
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