Das letzte Opfer (German Edition)
Prolog
Es war heiß, und sie durfte nicht schwitzen. Tote schwitzten nicht. Sie spielte tot, weil sie leben wollte. Der Mann, der versucht hatte, sie zu töten, war noch da und überzeugt, sie umgebracht zu haben. Jedenfalls glaubte sie, er sei davon überzeugt. Sie sah ihn nicht, weil ihre Augen verklebt waren, aber sie hörte ihn. Er sprach mit sich selbst. Manchmal kam ein irres Kichern über seine Lippen und manchmal ein haltloses Schluchzen. Vielleicht weinte er wirklich, weil er sie eigentlich gar nicht hatte töten wollen.
Das hatte er ihr erklärt – ganz zu Anfang. Sie müsse keine Angst haben, ihr werde nichts geschehen. Er war so nett gewesen in den ersten Stunden, höflich und zuvorkommend, sogar besorgt, sie ernsthaft verletzt zu haben mit dem Messer, das er ihr an den Hals hielt, damit sie ihn begleitete. Es war ein scharfes Messer, das praktisch ohne sein Zutun in ihre Haut schnitt, als er sie mit einer Hand in ihrem Haar vor sich herschob, eine Treppe hinunter und noch eine, dann eine Treppe hinauf, auf der sie stolperte. Sie beruhigte ihn, es sei ein harmloser Kratzer, nicht der Rede wert.
Während der Fahrt unterhielten sie sich. Und sie war überzeugt, sie habe die Situation unter Kontrolle, dass sie sich darauf einigen könnten, es sei nur eine Spazierfahrt gewesen, bei der sie sich irgendwo am Hals gekratzt hatte. Dass er sie gehen ließ, wenn er den Wagen anhielt.
Als er das endlich tat, bestand er darauf, dass sie sich selbst die Augen verklebte, ehe sie ausstiegen. Natürlich versuchte sie, ihm das auszureden. Aber er meinte, es sei besser für sie, also fügte sie sich. Er nahm ihren Arm, damit sie nicht noch einmal stolperte, er warnte auch: «Vorsicht, Stufen.» Es ging nach unten, drei Stufen insgesamt, das wusste sie, weil sie das Haus kannte, in das er sie brachte. Einmal war sie dort gewesen.
Und dann roch sie, warum es besser war, nichts zu sehen. Ein entsetzlicher Gestank schnitt ihr die Luft ab. Er führte sie zu einem Sessel, nahm ihr gegenüber Platz. Und er war immer noch ruhig, erzählte aus seinem Leben, von seiner Mutter, die viel zu früh gestorben war, von einer Schwester, die er über alles geliebt und auch verloren hatte. Seine Stimme war schwer von Trauer und Hoffnungslosigkeit – bis ein Telefon klingelte.
Das Geräusch schien ihn aus dem Konzept zu bringen. Er nahm das Gespräch entgegen, sagte zuerst nur: «Ja», nannte dann einen Namen, sagte noch ein paar Worte. Danach hörte er zu, wie lange, konnte sie nur schätzen, drei, vier Minuten vielleicht. Und dann stürzte er sich plötzlich ohne jede Vorwarnung auf sie, zerrte sie aus dem Sessel, stieß sie zu Boden und drückte ihr Gesicht in stinkendes Wasser.
Ein Putzeimer. Das fühlte sie, ein alter Blecheimer, an dessen schartigem Rand sie sich die Stirn aufschrammte. Instinktiv tat sie, was sie für richtig hielt, ließ den Atem stoßweise, blubbernd und gurgelnd entweichen. Nur nicht einatmen, nichts von dieser ekligen Brühe in die Lungen bekommen und nichts davon schlucken. Wie lange dauerte es, bis ein Mensch ertrank? Das wusste sie nicht. Schon nach einer halben Minute ließ sie ihren Körper erschlaffen und zur Seite sacken – so geschickt, dass dabei der Eimer umkippte. Das Wasser verteilte sich in einer großen Lache, in der sie erst einmal liegen blieb.
Sie gierte nach Luft und kämpfte mit eisernem Willen gegen das Bedürfnis, danach zu schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Obwohl ihre Brust beinahe platzte, erlaubte sie sich nur ganz leichte Atemzüge durch den halb offenen Mund. So war der Geruch auch besser zu ertragen, dieser furchtbare Gestank nach faulendem Fleisch.
Die Hitze machte ihr in den ersten Minuten noch nicht so zu schaffen. Da war ihr Gesicht ohnehin nass, und der Schweiß fiel nicht auf. Doch das Wasser auf ihrer Haut verdunstete rasch. Und er ging nicht, ging einfach nicht, begann mit seinem Gestammel, halbe Sätze, Schluchzern und das irre Kichern dazwischen. Hin und wieder verstand sie ein paar Worte. Und das Schlimmste war, sie verstand auch, was in ihm vorging, warum er nun meinte, sie unbedingt töten zu müssen. Und dann erlag sie der Versuchung, ihm etwas Tröstliches zu sagen.
Ein böser Fehler. Kaum hatte sie den ersten Ton über die Lippen gebracht, jaulte er auf und trat zu, traf sie ins Gesicht. Zum Glück trug er Sportschuhe mit relativ weichen Profilsohlen, trotzdem richtete er damit Verheerendes an. Ihr Kiefer brach, sie spürte ein paar Zähne lose im
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