Animus
begann, Pete zu dirigieren: »Siehst du das alte Windrad auf dem Feld da unten links? Dahinter ist ein Hügel. Schau, dass du da runterkommst. Zwischen den Heuschobern.«
Der Landeplatz war in unmittelbarer Nähe von Johnnys einsam gelegenem Haus. Johnny, ein alter Freund von Marc, wartete schon mit seinem Kombi. Seit der gemeinsamen Zeit in Südamerika stand er in Marcs Schuld und hatte versprochen, uns mit seinem Boot nach Kuba zu bringen. Er umarmte Marc, drückte uns die Hand. Er verlor kein Wort über die Leiche oder über die Tatsache, dass wir mit einem Militärhelikopter landeten. Mit vereinten Kräften legten wir Katya in den Fond des Kombis. Ich setzte mich dazu. Marc nahm neben Johnny Platz. Pete, Erykah und Ev drängten sich auf den Rücksitz.
Es war kurz vor acht, als wir Johnnys Haus erreichten. Das einladende kleine Holzhaus lag auf einer Anhöhe mit Blick aufs Meer und besaß nach Süden, zur Seeseite hin, einen großen Garten. Johnny lenkte den Wagen über einen Kiesweg zur anderen Seite des Gebäudes. Von dort aus konnte man den Garten überblicken, der zum Sandstrand hin langsam in eine Dünenlandschaft überging. Als ich aus dem Kombi kletterte, sah ich einen Baum, der am linken Rand des Geländes auf einem kleinen Hügel stand. Er war noch ein wenig höher als der, auf dem das Haus gebaut war, und trotzte dort offensichtlich schon seit Jahrzehnten den Stürmen, die vom Meer her das Land überfielen. Pete beobachtete mich. Dann nahm er Johnny beiseite und wechselte einige Worte mit ihm. Der nickte nur und verschwand. Pete ging zum Wagen, hob Katya vorsichtig heraus und trug sie zu dem Hügel. Wir folgten ihm – ein kleiner, verlorener Trauerzug. Johnny kam mit drei Schaufeln und einem großen, groben Leinenlaken, mit dem wir Katya behutsam zudeckten. Ich wählte den Platz, machte den ersten Spatenstich. Glücklicherweise war die Erde nicht gefroren. Vom Meer her blies ein für Januar relativ milder Wind. Dann gruben wir abwechselnd. Johnny hielt sich fern. Das ging ihn nichts an. Er kehrte ins Haus zurück und kochte Kaffee. Wir mussten bald los.
Als die Erde über Katya den Hügel wieder rundete, zogen sich auch die anderen zurück. Nur ich blieb noch, rückte die Grassoden zurecht, die ich behutsam ausgehoben hatte, und nahm Abschied, soweit man von jemandem Abschied nehmen kann, der in einem ist. Ich setzte mich neben das Grab und begann zu sprechen: »Oh Schwesterchen, Schwesterchen, mein Kirschlein. Zimmerst dir ein neues Haus ohne Fenster, kannst die Sonne nicht aufgehen sehen und den Mond nicht und das Meer nicht rauschen hören, das dir zu Füßen liegt. Wer wird jetzt mit mir sprechen, wenn ich Kummer habe, wer wird mir zuhören? Der Kuckuck hört auf zu rufen, aber ich werde nie aufhören zu rufen.«
Dann erhob ich mich, streichelte die harte Rinde des Baumes und ging zum Haus. Es war kurz vor neun. Jeder nahm seinen Kaffee, dankbar auch die Portion Rühreier, die Johnny vorbereitet hatte. Wir versammelten uns mit Tassen und Tellern im winzigen Wohnzimmer vor dem Fernseher.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren. Hier spricht Pamela Mitchum von WCRK aus Washington. Um es vorwegzunehmen: Es ist ein guter Morgen. Die blutigen Ereignisse, die in den letzten sechsunddreißig Stunden unsere Hauptstadt sowie auch einige weitere Teile unseres Landes erschüttert haben, nähern sich ihrem Ende. Wir können nicht umhin, Sie nach einer vom Vizepräsidenten verhängten kurzfristigen Nachrichtensperre nunmehr darüber zu unterrichten, dass unser Präsident, und mit ihm achtzehn Kongressmitglieder, am vorgestrigen Abend um zwanzig Uhr dreißig einem Sprengstoffanschlag der Stadtguerilla zum Opfer gefallen sind. Die darauffolgenden erbitterten Kämpfe um das Weiße Haus konnten die Terroristen für die Dauer von einigen qualvollen Stunden zu ihren Gunsten entscheiden, als sie das Regierungsgebäude besetzt hielten. Kleinere Scharmützel um das Pentagon dauern zur Stunde noch an. Glücklicherweise gelang dem Vizepräsidenten und einem großen Teil des Krisenstabs die Flucht in eine unbekannte Kommandozentrale, von der aus agiert wurde, bis das Militär die Situation unter Kontrolle hatte. Dies ist inzwischen der Fall. Uns wurde mitgeteilt, dass der Angriff der Stadtguerilla und weiterer verbündeter terroristischer Splittergruppen zurückgeschlagen werden konnte. Nichtsdestotrotz werden diese Tage als die ›Schwarzen Tage von Washington‹ in unsere Geschichte eingehen. Wir können jedoch davon
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