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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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den beiden. Katya war in die Brust getroffen. Das Blut schoss nur so aus ihr heraus.
    Lucy kniete neben ihr auf dem Boden. Die beiden flüsterten etwas. Ich konnte es nicht verstehen. Dann brach Katyas Blick. In dem Moment glaubte ich, Lucy würde verrückt werden. Sie schrie in den Himmel, schrie seltsam wirre Dinge: »Schau dir diesen Mund an«, schrie sie, »und das Haar, so weich, wie es fließt, über ihre Schultern, nein, nicht, geh nicht, nimm mich mit, nimm mich mit …« Sie schrie und schrie und wimmerte und bettelte.
    Erykah trat aus dem Wald hervor und kam zu mir. Ich stand starr vor Entsetzen neben Lucy. Sie erfasste mit einem Blick die Situation.
    »Marc braucht dich. Ich bleibe hier.« Ich nickte. Insgeheim war ich froh, weg zu können. Ich hatte keine Ahnung, wie ich Lucy helfen konnte. Ich fühlte mich feige.
    »Hast du Walcott erwischt? Ich habe hier einen getroffen. Der hat seinen Kopf zu neugierig aus dem Graben gestreckt. Mann, was ist los?« Erst jetzt bemerkte Marc, dass mein Gesicht wie versteinert war. Ev lag neben Marc auf dem Boden, zitterte und klapperte mit den Zähnen.
    »Walcott ist tot. Der andere auch.« Und nach einer Pause: »Katya auch.« Als Evelyn das hörte, presste sie ihre geballte Faust in den Mund und biss darauf. Doch sie konnte den Schmerz, der ihr die Seele entzweiriss, nicht unterdrücken. Sie krümmte sich zusammen, schluchzte laut. Marc schaute mich nur an.
    »Ist dein Magazin voll?«, fragte ich.
    Marc verstand. Wir luden beide nach. Dann sprangen wir gleichzeitig aus der Deckung hervor, rannten geduckt im Zickzackkurs und unaufhörlich ballernd auf den Bewässerungsgraben zu, in dem sich noch zwei Gegner verschanzten. Der Dritte, den Marc erledigt hatte, war von der Wucht der Kugel nach hinten gerissen worden und hing mit halbem Oberkörper, auf dem Rücken liegend, aus dem Graben heraus. Die zwei verbliebenen Männer mussten sich erheben und das Feuer erwidern. Marc und ich rollten uns ab, schossen und rannten weiter. Nach zwei Minuten war alles vorbei. Ich hatte am linken Oberarm eine Fleischwunde, Marc war unverletzt. In den Graben sickerte Blut.
    Als wir zurück zu Evelyn gingen, sahen wir Erykah und Lucy. Lucy trug Katya auf ihren Armen. Sie brach unter der Last fast zusammen, wankte, wollte sich aber von Erykah nicht helfen lassen. Erst als sie bei uns anlangte, ließ sie Katya sanft auf den Boden nieder. Lucy sagte nichts, weinte auch nicht mehr. Auch Ev hörte auf zu schluchzen. Sie hatte sich erhoben und ging langsam auf die anderen Frauen zu. Marc und ich begaben uns zu Katyas Leiche. Wir standen da und schwiegen. Keiner schaute den anderen an. Nach einigen Minuten brach ich das Schweigen: »Wir müssen los.«
    Lucy schaute mich mit wildem Vorwurf an.
    Ich sagte: »Wir nehmen sie mit. Wir begraben sie bei Pecan Island. In der Nähe des Meeres.«
    Lucy nickte. Ich bückte mich, hob Katya hoch und trug sie über das Feld zum Helikopter. Lucy folgte mir. Die anderen gingen zum Van und sammelten das Gepäck ein. Ich legte Katya nach hinten. Lucy stieg ein, nahm die tote Katya in die Arme, als hielte sie ein hilfloses Kind. Die anderen stiegen stumm zu. Ich startete die Maschine, nachdem mir Marc einen Fetzen Stoff um den blutenden Arm gewickelt hatte.

52. Beerdigung
    Lucy, 43, Sensor Stufe 10
    Erykah sang. Während des gesamten Fluges sang sie eine ungewohnte, simple Melodie, getragen von fremden Worten. Es klang afrikanisch. Ein Schlaflied vielleicht, mit unendlich vielen Strophen. Sie klopfte sich dazu leise auf die Schenkel, ab und zu schlug sie mit ihren Fingerknöcheln gegen die blecherne Haut des Helikopters. Es war ein langsames, fast schleppendes Tempo, ein dumpfer Rhythmus. Wir hörten nur Bruchstücke davon, das Lied wurde übertönt von lauten, knatternden Fluggeräuschen. Ich nahm die vereinzelten Töne wie in Trance wahr. Evelyn, die neben mir saß, sah konzentriert aus dem Fenster, um Katyas Leiche in meinen Armen auszublenden. Auch ich versuchte, all das gedanklich von mir fernzuhalten, was eine größere Dichte und Schwere besaß als die Wolken, die wir auf unserem Flug streiften. Fliegen war ein Wunder. Losgelöst von der Erde zu sein. Ich spürte die immensen Kräfte, die für dieses Wunder nötig waren. Die rasende Rotation, mit der sich das schwere Ungetüm gegen die Erdanziehungskraft aufbäumte. Welche Anstrengung doch nötig war, um sich zu erheben.
    Der Flug war unruhig, aber kurz. Erykah stimmte ihr Lied zum vierten Mal an, als Marc

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