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Animus

Animus

Titel: Animus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Idiot. Als er die Pistole wieder nach unten baumeln ließ, griff ich nach dem Brieföffner und rammte ihn Conrad durch das Auge ins Gehirn. Es ging schnell, und es ging leicht. Es war, wie ein Messer in Butter zu stoßen. Er war sofort tot.
    Die First Lady und ihre Tochter schrien instinktiv auf. Pete sprang zum Schreibtisch, riss Conrads Waffe an sich, wirbelte herum und erledigte mit zwei genauen Schüssen die beiden Leibwächter, die durch die Tür hereingestürmt kamen. Es ging alles blitzschnell. In wenigen Sekunden hatten Pete und ich die Leichen der beiden wieder vor die Tür geschoben und Con dazugelegt. Als wir die Tür schlossen, hörten wir schon das Getrampel von schweren Stiefeln, die sich im Laufschritt näherten. Vor der Tür hielten sie an, es waren mindestens drei. Sie zögerten, gaben einige Schüsse durch die Tür ab. Pete erwiderte das Feuer aus seiner Deckung heraus. Viel Munition hatten wir nicht. Draußen wurde flüsternd die neue Lage diskutiert. Dann hörten wir martialisches Geschrei, Geballer und Getöse auf den Fluren.
    March und Snyder hatten ihren Spezialeinheiten, die in den beiden Geheimgängen per Funk auf ihren Einsatz gewartet hatten, das Startzeichen gegeben, als sie per Überwachungskamera sahen, dass wir Conrad im Oval Office ausgeschaltet hatten. Die Terroristen leisteten nicht lange Widerstand: Nach nicht mal zehn Minuten war der Spuk vorbei.

55. Epilog
    Professor Irvin Schmelzer, 64, Biochemiker und Molekularbiologe
    So viele sind tot. Katya, meine geliebte Katya. Isabel, die Schweigsame. Sie besaß den höchsten IQ, den ich je gemessen habe. Wer viel versteht, verstummt. Dann die aufsässige Ann. Rebecca. Nicht zu reden von den Hunderten, die ihr Leben bei den Kämpfen gelassen haben. Deren Namen und Gesichter ich nicht kenne.
    Ich bin nicht an allem schuld, das weiß ich. Zu Beginn dieser Aufzeichnungen sagte ich, es sei schwierig, einen Zeitpunkt festzulegen, an dem es begann. Mit dem Urknall. Mit der ersten Kaulquappe, die an Land kroch. Mit dem aufrechten Gang. Dem Menschen. Seiner Arroganz. Mangelnder Ehrfurcht vor der Schöpfung.
    Vielleicht gibt es die Erbsünde. Und der Mensch ist zu schuldhafter Verstrickung verdammt, die Frage nach dem freien Willen eine akademische. Und jedes Wesen eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllt.
    Aber vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht gibt es doch einen Sinn. Und Hoffnung.
    Letzte Woche bekam ich diesen Brief. Damit geht meine Geschichte zu Ende. Andere beginnen. Und das ist gut so.
    Lieber Professor,
    Sie können sich nicht vorstellen, was für eine Freude es hier in unserem Exil in Costa Rica war, von Ihnen nun aus Deutschland zu hören. Ev hat Ihnen ja schon geschrieben. Ich will mich nun endlich auch etwas ausführlicher melden und es nicht immer nur bei den Grüßen belassen, so herzlich sie stets gemeint sind.
    Es hat lange gedauert, bis ich mich auf die veränderte Lebenssituation eingestellt habe. Den Kontakt zu Snyder und March habe ich schon lange abgebrochen. Es war einfach zu absurd, dass Lucy und ich einen Orden bekamen wegen der Rettung der First Lady und ihrer Tochter. Was für eine Farce vor der Öffentlichkeit! Aber jeder muss tun, was er tun muss. Schätze, March wird der nächste Präsident werden. Auch weil er die Situation damals so bravourös und innerhalb weniger Tage gemeistert hat. Doch Schluss mit der Vergangenheit.
    Lassen Sie mich von angenehmeren Dingen sprechen. Zu denen übrigens für uns gehört, Sie außer Landes und mit einem Lehrstuhl am Max-Planck-Institut zu wissen. Vielleicht können wir Sie mal besuchen. Dann trage ich Ihre Aktentasche über den Campus, Professor!
    Für mich ergibt inzwischen alles irgendwie Sinn. Als wir nach Kuba kamen, war von dieser inneren Befreiung noch nichts zu spüren. Wir standen unter Schock. Aber hier in Costa Rica, so mit der Zeit … Ich werde die schrecklichen Ereignisse zwar nie vergessen können, aber die Momente, in denen mir die Bilder vor Augen stehen und mich Wut und Schuld quälen – sie werden seltener. Manchmal erscheint mir alles surreal. Als hätte nicht ich es erlebt, sondern ein anderer. Es fällt mir schwer, diese seltsame Distanz zu den Geschehnissen zu beschreiben. Wovon man nicht reden kann, davon soll man schweigen.
    Wir sind nun schon ein ganzes Jahr in Quepos, hier an der südlichen Pazifikküste von Costa Rica. Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Kaff ist. Die Stadt wirkt dunkel, obwohl fast ständig die Sonne scheint.

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