Anleitung zum Müßiggang
nachgäbe.
Nun! Ehedem war es umgekehrt: die Arbeit hatte das schlechte Gewissen auf sich. Ein Mensch von guter Abkunft verbarg seine Arbeit, wenn die Not ihn zum Arbeiten zwang. Der Sklave arbeitete unter dem Druck des Gefühls, dass er etwas Verächtliches tue – das »Tun« selber war etwas Verächtliches. »Die Vornehmheit und die Ehre sind allein bei otium und bellum [Krieg]: so klang die Stimme des antiken Vorurteils!
Nietzsches Standpunkt ist: Wenn es uns gelänge, das schlechte Gewissen loszuwerden, das uns kollektiv überkommt, wenn wir uns amüsieren, dann könnte die Kultur, sich nur dann freizunehmen, wenn es irgendeine äußere Macht oder irgendeine innere Selbstkontrolle erlaubt, Schaden nehmen. Das englische Wort für Muße, leisure, kommt übrigens von dem lateinischen licere , was »erlaubt sein« bedeutet. Wir haben die Verantwortung für unsere freie Zeit an andere abgetreten, und wir müssen nur uns selbst dafür die Schuld geben.
Können wir von den Gewerkschaften erwarten, dass sie uns helfen, uns ein besseres Leben zu schaffen? Nein. Sie sind Teil des Problems. Sie glauben an das alte Märchen »Zeit ist Geld«. Ihre Kampagne »Anständige Tagesarbeit für anständige Bezahlung« hält die Arbeiter in Schach und begrenzt ihren Gesichtskreis auf unbedeutende Lohnerhöhungen oder belanglose Verbesserungen der Arbeitsbedingungen. Das ist keine Freiheit, das ist nur ein bisschen zusätzliche Vergoldung am Käfig. Die Gewerkschaftsbewegung hat in den letzten zweihundert Jahren viel Gutes getan – die Kinderarbeit abzuschaffen, war eine gute Idee (allerdings habe ich inzwischen selber kleine Kinder und neige dazu, mich für die Wiedereinführung stark zu machen), ebenso die schrittweise Verkürzung des Arbeitstages (aber sie haben auch die Überstunden erfunden, die dazu ermuntern, zum Elf-Stundentag zurückzukehren, wenn wir anständig Geld verdienen wollen. Ich weiß noch, wie hocherfreut ich als Möbelpacker war, als wir einmal einen Elf-Stundentag hatten, da das bedeutete, ich bekäme 8 x £3 = £ 24 plus 3 x £4,50 = £ 37,50. Aber ich hatte elf Stunden meines Lebens verloren). Doch sie behalten nach wie vor das System der Ausbeutung und der Verfremdung vom Produkt der Arbeit bei.
Sicherlich sollten wir Müßiggänger allesamt für mehr Urlaub kämpfen. Die Jobs könnten erträglicher sein, wenn wir nur drei oder vier Tage pro Woche und nur drei oder vier Stunden pro Tag arbeiten müssten. Die Gesetzgebung in Frankreich durch die sozialistische Regierung Ende der neunziger Jahre hat die Arbeitswoche auf 35 Stunden begrenzt, was zu einer starken Zunahme langer Wochenenden und Fahrten ans Meer führte. Die Produktivität litt offenbar nicht darunter. Jobs wurden geschaffen. Aber die 35-Stundenwoche wurde von der neuen konservativen Regierung im Jahr 2002 wieder abgeschafft. Und das zeigt das Problem bei gesetzlichen Lösungen: sie können von einer neuen Regierung mühelos gekippt werden. Das andere Problem bei von der Regierung geförderten Initiativen, so großzügig sie auch anscheinend sind, ist, dass sie immer eine Form von sozialer Kontrolle sind. Sie nehmen der Feierstimmung die Spontaneität.
Eine Lösung könnte die Idee sein, alle Stoßzeiten zu meiden. Das heißt, man geht im September in Urlaub, arbeitet zwischendurch, unternimmt Spritztouren unter der Woche und bleibt freitags und samstags zu Hause. Obwohl ich den Rat geben kann, in anderen Bereichen des Lebens mit dem Strom zu schwimmen, wird man, wenn es um Reisen und Urlaub geht, belohnt, wenn man gegen den Strom schwimmt. Das Busfahren vormittags um 11 kann ungeheuer angenehm sein. Wenn man es vermeidet, in der Gegend herumzufahren, wenn die Massen unterwegs sind, kann man ein befriedigendes Maß an Ordnung in sein Leben hineinbringen. Das würde natürlich freiberufliche Arbeit bedeuten, ein Schritt, der vom früheren Lohnsklaven selten bereut wird.
Der Management-Guru und Freund des Müßiggangs Charles Handy hat die Idee des »chunking« erfunden, des Bündelns von Einheiten. Damit wirtschaftet er jedes Jahr für sich einen riesigen Urlaub heraus. Ich interviewte ihn 1993, und er erklärte mir, wie er seine Zeit aufteilt. »Ich habe mir ausgerechnet, dass ich 100 Tage im Jahr brauche, um ernsthaft Geld zu verdienen. Das tue ich, indem ich an mehreren Seminaren lehre. Außerdem brauche ich 100 Tage zum Schreiben und Lesen und etwa 50 Tage pro Jahr für meine Klienten und Kampagnen. Damit bleiben 115 Tage übrig, die wir
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