Anleitung zum Müßiggang
einmal umzudrehen und wieder einzuschlafen: »nur für fünf Minuten«. Gibt es denn überhaupt einen Menschen, frage ich mich, außer dem Helden in einer Sonntagsschul-»Geschichte für Jungen«, der gerne aufsteht? Es gibt Menschen, für die pünktliches Aufstehen total unmöglich ist. Wenn zum Beispiel acht Uhr die Zeit ist, zu der sie sich aus den Federn erheben sollten, bleiben sie bis halb neun liegen. Sollten sich die Umstände ändern und halb neun ist für sie noch zeitig genug, dann wird es neun, ehe sie aufstehen: Sie sind wie der Staatsmann, von dem es hieß, er komme stets pünktlich ein halbe Stunde zu spät. Sie probieren alle möglichen Konzepte aus. Sie kaufen sich Weckeruhren (raffinierte Apparate, die zur falschen Zeit losgehen und die falschen Leute erschrecken) … Ich kannte mal jemanden, der stand tatsächlich auf und nahm ein kaltes Bad; und selbst das war nutzlos, denn hinterher hüpfte er wieder ins Bett, um sich aufzuwärmen.
Der erklärte Langschläfer Louis Theroux, der für die von mir herausgegebene Zeitschrift The Idler schreibt, erinnert sich an eine diesbezügliche List, die sich sein Freund Ken ausgedacht hatte. »Die ging folgendermaßen: Halte auf deinem Nachttisch einen Becher kalten Kaffee und zwei Tabletten Pro Plus bereit. Stelle den Wecker auf zwanzig nach acht – eine halbe Stunde, bevor du wirklich aufstehen musst –, und wenn er klingelt, in dem Augenblick der Klarheit, die der Wecker auslöst, kippst du den Kaffee samt den Pillen runter und schläfst weiter. Eine halbe Stunde später bist du von der massiven Wirkung des Koffeins knallwach.«
Der Schlaf ist ein mächtiger Verführer, daher die furchterregende Apparatur, die wir zu seiner Bekämpfung entwickelt haben. Ich meine die Weckeruhr. Großer Gott! Welches boshafte Genie hat diese beiden Feinde des Nichtstuns – Uhr und Wecken – zu einer Einheit zusammengefügt? Jeden Morgen werden in der ganzen westlichen Welt zufrieden träumende Menschen durch ein ohrenbetäubendes Klingeln oder hartnäckiges elektronisches Piepsen rüde aus dem Schlaf gerissen. Der Wecker ist die erste Station in der unseligen Verwandlung vom glücklichen, sorglosen Träumer zum angstgeplagten und mit Verantwortung und Pflichten beladenen Arbeitstier, zu der wir uns jeden Morgen zwingen. Was wirklich verblüfft, ist die Tatsache, dass wir die Wecker freiwillig kaufen. Ist es nicht absurd, das wir unser mühsam verdientes Geld für ein Gerät ausgeben, das dazu dient, jeden Tag unseres Lebens so unerfreulich wie möglich beginnen zu lassen und in Wirklichkeit nur dem Arbeitgeber nutzt, dem wir unsere Zeit verkaufen? Ja, es gibt einige Wecker, die ohne Klingeln auskommen und uns stattdessen mit dem Geplauder frühmorgendlicher Rundfunkmoderatoren wecken, aber sind die auch nur einen Deut besser? Die quälende Heiterkeit dieser Leute ist dazu da, uns für den vor uns liegenden Tag in Stimmung zu bringen oder mit blöden Witzen von unserem ganzen Jammer abzulenken. Mir geht das einfach auf die Nerven. Es gibt nichts Schlimmeres als die banale Fröhlichkeit eines anderen Menschen, wenn man sich im Zustand tiefen, heftigen, existentiellen Nachdenkens befindet. Wie mein Freund John Moore, der faulste Mensch der Welt, zu sagen pflegt, wenn seine Frau ihn zu wecken versucht: »Ich stehe auf, wenn es etwas gibt, wofür sich das Aufstehen lohnt.«
In England ist die hochgestochene Version dieses nationalen Weckrufs die Sendung Today bei Radio 4, in der die Katastrophen des Tages mit großer Ernsthaftigkeit und Sorge erörtert werden. In den meisten Ländern gibt es ernste Nachrichtensendungen gleich als Erstes am Morgen. Sie lösen beim Hörer Empfindungen wie Wut und Angst aus. Aber es gibt Menschen, die der Meinung sind, es sei ihre Pflicht , dem zuzuhören. Als würde das bloße Zuhören die Welt irgendwie besser machen. Pflicht, oh welche Last bist du! Gibt es denn keinen Platz für einen nachrichtenfreien Sender? Wenn ich klassische Musik im Radio höre, zum Beispiel beim Autofahren, gibt es nichts Schlimmeres, als wenn meine Träumereien und Gedankenströme durch die ermüdende Realität der Nachrichten unterbrochen werden.
Also: für die meisten von uns beginnt der Werktag quälend, wir werden dem Nektar des Vergessens entrissen und mit dem Ansinnen konfrontiert, pflichtbewusste Bürger zu sein, die bereit sind, ihren Herren am Arbeitsplatz mit Dankbarkeit, guter Laune und reichlich Energie zu dienen (warum sind wir im Übrigen alle so
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