Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
Er ist bei mir im Distelkamp.«
»Was heißt das? Bist du in seiner Gewalt? Mach mich nicht wahnsinnig!«
»Nein, ich verhöre ihn gerade.«
»Wir kommen sofort!«
»Keine Hektik, kein Blaulicht. Vielleicht kriege ich ihn zu einer Aussage. Dazu ist unsere Küche besser als jede Polizeiinspektion.«
Sie klickte das Gespräch einfach weg und ging zu Küppers zurück. Ihr Herz schlug bis zum Hals. War es ein Fehler gewesen, zum Telefon zu gehen?
Konnte es sein, dass er jetzt schon gar nicht mehr in der Küche war oder dort inzwischen in einem anderen Seelenzustand auf sie lauerte, um sie zu erledigen?
Tatsächlich hatte er die Tür zum Garten hin geöffnet. Willi, der Kater, schnurrte um seine Beine herum. Küppers stand mit dem Rücken zu Ann Kathrin, trotzdem erkannte sie, dass er sich gerade den Lauf einer Pistole gegen den Mund drückte, als wolle er die Waffe küssen. Er machte noch zwei Schritte bis zu ihrem blau-weißen Strandkorb. Er setzte sich hinein, wie ein Urlauber, der die Sonne genießen möchte, nur dass er sich kein Eis vor die Lippen hielt, sondern eine Smith & Wesson.
Ann Kathrin hatte nur einen Gedanken: Wenn er sich eine Kugel durch den Kopf schießt, finden wir Eike nie mehr.
»Papa«, sagte sie, »ich will nicht, dass du das tust!«
»Du bist nicht meine Tochter, du gottverdammte Schlampe! Ich bin nicht verrückt!«
»Nein, das sind Sie nicht, Herr Küppers. Und deswegen werden Sie mir jetzt sagen, wo mein Sohn Eike ist.«
»Einen Scheiß werde ich! Ich puste mir jetzt das Hirn weg, und das war’s! Ich will zu Ines!«
Er schloss die Augen. »Ich komme zu dir, meine Kleine!«, sagte er und schob sich den Lauf der Waffe tief in den Mund.
»Ich bin nicht tot, Papa!«, rief Ann Kathrin.
Er riss die Augen auf.
»Ich hab das alles nur inszeniert! Ich hab nur so getan als ob, damit du dich um mich kümmerst! Ich wollte endlich deine Aufmerksamkeit!«
Auch wenn er ihr nicht glaubte, verwirrten ihre Worte ihn doch so sehr, dass er die Pistole wieder aus dem Mund zog.
»Du … du lügst!«
Ann Kathrin wusste nicht, ob sie damit richtiglag. Sie hatte eine Fünfzig-fünfzig-Chance, fand sie, und sie setzte alles auf diese eine Karte.
Sie formulierte die Frage hart: »Haben Sie sie tot im Sarg liegen sehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war ja das Schreckliche! Sie war bereits eingeäschert, als ich kam. Ich konnte nur noch die Beisetzung der Urne erleben. Ich konnte nicht mal Abschied von ihr nehmen. Sogar das wurde mir verweigert …«
»Wir machen das immer so, wenn wir Leute in ein Zeugenschutzprogramm nehmen.«
»Was erzählen Sie da für einen Mist? Was für ein Zeugenschutzprogramm?«
»Ihre Tochter ist für uns als Zeugin enorm wichtig. Sie hat etwas Dramatisches beobachtet, und durch ihre Aussage ist eine ganze Verbrecherorganisation aufgeflogen.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Natürlich nicht. Es dient ihrer Sicherheit. Niemand weiß, wo sie ist. Nicht ihre Mutter, nicht ihre Freunde … Wir haben einen Abgang für sie organisiert. Das Tagebuch ist Bestandteil dieses Abtauchens. Aber ich plaudere jetzt aus dem Nähkästchen, das dürfte ich Ihnen eigentlich alles gar nicht erzählen. Ich gefährde damit das Leben Ihrer Tochter.«
»Wo ist Ines? Ich will sie sprechen!«
»Sie sagen mir zuerst, wo mein Sohn ist. Und ich gebe Ihnen eine Telefonnummer. Auch, wenn es gegen all meine Dienstvorschriften verstößt.«
Er sah sie kritisch von unten an und richtete die Smith & Wesson jetzt auf Ann Kathrin. »Du willst mich reinlegen, du verdammtes Luder! Ihr Weiber glaubt doch immer, am längeren Hebel zu sitzen. Aber nicht mit mir!«
»Wenn mein Sohn stirbt, werden Sie Ihre Tochter nie wiedersehen. Dann ist sie für Sie wirklich tot.«
Er schrie es heraus: »Ich habe ihn auf dem Kleintierfriedhof Südbrookmerland vergraben! Bei dem großen Engel.«
Augenblicklich hatte Ann Kathrin ihr Handy am Ohr.
Weller stand in diesem gespenstischen Raum und wartete auf die Spurensicherung. Ihm war schwindlig. Er brauchte dringend ein Glas Wasser. Am liebsten hätte er seinen Mund einfach unter den Wasserhahn gehalten. Aber etwas hinderte ihn, als sei es eine Art Blasphemie, hier jetzt etwas so Banales zu tun wie Wasser aus dem Hahn zu trinken.
Sein Handy spielte »Piraten, Ahoi!«. Er riss es hoch, und Ann Kathrins Stimme ertönte: »Eike ist auf dem Kleintierfriedhof Südbrookmerland, nahe bei einem großen Engel.«
»Du bist von uns aus schneller da als wir. Wir
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