Anna Karenina
verwandte, auch wenn keine Gäste da waren, dennoch ebensoviel Sorgfalt auf ihr Äußeres; auch beschäftigte
sie sich sehr viel mit Büchern: sie las sowohl Romane wie ernste Bücher, die gerade Mode waren. Sie ließ sich alle
die Bücher kommen, die in den von ihr gehaltenen ausländischen Zeitungen und Zeitschriften lobend erwähnt wurden,
und las sie mit jener Aufmerksamkeit, die man nur in der Einsamkeit aufzubringen pflegt. Außerdem studierte sie die
Gegenstände, mit denen sich Wronski beschäftigte, aus Büchern und Fachzeitschriften, so daß er sich oft in Fragen
der Landwirtschaft und des Bauwesens, mitunter sogar in Fragen der Pferdezucht und des Sportes geradezu an sie
wandte. Er war erstaunt über ihre Kenntnisse und über ihr Gedächtnis; anfangs bezweifelte er ihre Angaben manchmal
und wünschte deren Bestätigung durch Druckschriften; aber sie fand dann immer beim Nachschlagen in den Büchern
dasselbe, was sie ihm auf seine Fragen als Auskunft gegeben hatte, und konnte es ihm nachweisen.
Auch für die Einrichtung des Krankenhauses erwärmte sie sich. Sie half nicht nur, sondern richtete auch vieles
selbständig ein und hatte dabei manche eigenen Gedanken. Aber ihre Hauptsorge blieb doch immer sie selbst: die
Überlegung, wieweit sie Wronskis Liebe besitze und wie sie ihn für all das entschädigen könne, was er um
ihretwillen aufgegeben habe. Wronski wußte diesen ihren Wunsch, der ihr einziger Lebenszweck geworden war, in
seinem Werte zu würdigen, den Wunsch, ihm nicht nur zu gefallen, sondern ihm auch zu dienen; aber zugleich fühlte
er sich auch durch das Liebesnetz, in das sie ihn zu verstricken suchte, belästigt. Je häufiger er sich im Laufe
der Zeit durch dieses Netz behindert fühlte, um so stärker wurde bei ihm das Verlangen, nicht eigentlich sich davon
loszumachen, aber doch zu versuchen, ob dadurch auch nicht seine Freiheit beeinträchtigt werde. Wäre nicht in ihm
dieses immer wachsende Verlangen gewesen, frei zu sein, nicht jedesmal erst eine Szene durchmachen zu müssen, wenn
er zu den Versammlungen oder zum Rennen nach der Stadt fahren mußte, so würde Wronski mit seinem Leben vollständig
zufrieden gewesen sein. Die Rolle, die er sich ausgesucht hatte, die Rolle des reichen Grundbesitzers, also eines
Angehörigen jenes Standes, von dem er meinte, daß er den eigentlichen Kern der russischen Aristokratie bilden
müsse, diese Rolle entsprach nicht nur völlig seinem Geschmack, sondern gewährte ihm jetzt, nachdem er ein halbes
Jahr so gelebt hatte, auch eine ständig zunehmende Befriedigung. Und seine Arbeit, die ihn immer mehr beschäftigte
und erfreute, hatte vortrefflichen Erfolg. Trotz der gewaltigen Ausgaben, die das Krankenhaus und die Maschinen und
die Kühe, die er sich aus der Schweiz hatte kommen lassen, und viele andere Dinge verursachten, sah er deutlich,
daß er sein Vermögen nicht verminderte, sondern vermehrte. Wo es sich um Einnahmen handelte, beim Verkauf von Holz,
Getreide, Wolle, beim Verpachten von Land, da war Wronski hart wie Stein und verstand es, seinen Preis zu
behaupten. In den Hauptfragen des Wirtschaftsbetriebes hielt er sich sowohl bei diesem Gute wie bei seinen anderen
Gütern an die einfachsten, mit möglichst geringem Wagnis verbundenen Wirtschaftsweisen und zeigte sich in den
wirtschaftlichen Einzelheiten im höchsten Grade berechnend und sparsam. Trotz aller Schlauheit und Gewandtheit
seines deutschen Verwalters, der ihn zu Ankäufen veranlassen wollte und dabei jeden Kostenanschlag so aufstellte,
daß man zunächst eine sehr große Summe für erforderlich halten mußte und erst nach näherer Prüfung merkte, es lasse
sich doch billiger einrichten und ein sofortiger Gewinn erzielen, ließ sich Wronski durch ihn nicht beeinflussen.
Er hörte an, was der Verwalter vorbrachte, stellte eingehende Fragen und stimmte ihm nur dann zu, wenn das, was sie
kommen lassen oder einrichten wollten, etwas wirklich Neues und in Rußland noch Unbekanntes war, was Aufsehen
erregen konnte. Überdies entschloß er sich zu größeren Ausgaben nur dann, wenn er Geld flüssig hatte, erkundigte
sich vor solchen Ausgaben über alle Einzelheiten und bestand darauf, daß er für sein Geld dann auch wirklich nur
das Allerbeste bekam. Daher war klar, daß bei der Art, wie er die Sache betrieb, sein Vermögen nicht abnehmen
konnte, sondern wachsen mußte.
Im Oktober sollten die Adelswahlen im Gouvernement Kaschin abgehalten werden, wo die
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