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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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der
    Gewöhnung ihn immer noch fesselnde Schönheit und das Bewußtsein dieser Schönheit und den Wunsch, daß diese auf ihn
    wirken möge. Er wollte nicht nach dem Gegenstand des Gesprächs fragen, hoffte aber, daß sie von selbst etwas
    darüber sagen werde. Aber sie sagte nur:
    »Ich freue mich recht, daß Dolly dir gefallen hat. Das hat sie doch, nicht wahr?«
    »Ich kenne sie ja schon lange. Sie ist, glaube ich, eine sehr gute, brave Frau, nur außergewöhnlich bieder. Aber
    ich habe mich doch über ihren Besuch gefreut.«
    Er ergriff Annas Hand und blickte ihr fragend in die Augen.
    Sie faßte diesen Blick anders auf und lächelte ihm zu.
    Am andern Morgen machte sich Darja Alexandrowna trotz der Bitten des Gastgebers und der Gastgeberin zur Abreise
    fertig. Ljewins Kutscher, in seinem nicht mehr neuen Rock und mit seinem etwas fuhrmannsmäßigen Hut, fuhr mit
    seinen Pferden, die in der Farbe nicht zueinander paßten, und mit der Kutsche, deren Kotflügel ausgeflickt waren,
    finster und entschlossen in der überdachten, mit Sand bestreuten Anfahrt vor.
    Der Abschied von der Prinzessin Warwara und den Herren hatte für Darja Alexandrowna etwas Peinliches. Bei einem
    nur eintägigen Zusammensein war es sowohl ihr selbst wie auch ihren Gastgebern klargeworden, daß sie nicht in
    diesen Kreis paßte und es das beste war, sich zu trennen. Anna war die einzige, die Betrübnis empfand. Sie wußte,
    daß jetzt, nach Dollys Abreise, niemand mehr in ihrer Seele die Gefühle aufstören werde, die in ihr bei diesem
    Wiedersehen wie der erregt worden waren. Die Reizung dieser Gefühle hatte ihr Schmerz bereitet; aber dennoch wußte
    sie, daß dies der beste Teil ihrer Seele war und daß dieser Teil ihrer Seele bei dem Leben, das sie führte, schnell
    verkümmern werde.
    Als Darja Alexandrowna in ihrem Wagen wieder das freie Feld erreicht hatte, empfand sie ein angenehmes Gefühl
    der Erleichterung, und sie hatte schon Lust, ihre Leute zu fragen, wie es ihnen bei Wronski gefallen habe, als der
    Kutscher Filipp von selbst zu reden begann:
    »Reich sind sie schon; aber Hafer haben sie uns nur drei Maß gegeben. Ehe die Hähne krähten, hatten die Pferde
    ihn bis auf das letzte Korn aufgefressen. Was sind denn auch drei Maß? Das ist nur so ein kleiner Imbiß. Und jetzt
    kostet der Hafer doch sogar bei den Herbergswirten nur fünfundvierzig Kopeken. Bei uns, da kann man sicher sein, da
    bekommen die fremden Pferde so viel, wie sie nur fressen mögen.«
    »Ein geiziger Herr«, bestätigte der Gutsschreiber.
    »Nun, und ihre Pferde, haben dir die gefallen?« fragte Dolly.
    »Die Pferde sind gut, das muß ihnen der Neid lassen. Und auch das Essen war gut. Aber das Ganze kam mir gar
    nicht so recht frisch und lustig vor, Darja Alexandrowna; ich weiß nicht, ob Sie das auch gefunden haben«, sagte
    er, indem er sein hübsches, gutmütiges Gesicht zu ihr zurückwandte.
    »Ja, ich habe es auch gefunden. Nun, wie ist's, kommen wir zum Abend nach Hause?«
    »Wir müssen schon hinkommen.«
    Zu Hause angekommen, fand Darja Alexandrowna alle in bestem Wohlsein vor, und sie erschienen ihr ganz besonders
    nett und liebenswürdig. Mit großer Lebhaftigkeit erzählte sie von ihrer Fahrt und wie freundlich sie aufgenommen
    sei, und von dem Luxus und guten Geschmack, der bei Wronskis herrsche, und von ihren Vergnügungen, und erlaubte
    niemandem, ein Wort gegen die beiden zu sagen.
    »Man muß Anna und Wronski kennen (ich habe ihn jetzt besser kennengelernt), um beurteilen zu können, wie lieb,
    wie rührend gut sie sind«, sagte sie, und zwar jetzt vollkommen aufrichtig; jenes unbestimmte Gefühl der
    Mißbilligung und Unbehaglichkeit, das sie dort empfunden hatte, war ihr ganz aus dem Gedächtnis entschwunden.
Fußnoten
    1 (frz.) ich erwecke Leidenschaften.

25
    Wronski und Anna verlebten den ganzen Sommer und noch einen Teil des Herbstes auf dem Lande, immer in den
    gleichen Verhältnissen und ohne irgendwelche Schritte zur Herbeiführung der Scheidung zu tun. Sie waren
    übereingekommen, nirgends hinzureisen; aber je länger sie allein lebten, besonders im Herbste und nach der Abreise
    der Gäste, um so mehr fühlten sie beide, daß sie dieses Leben auf die Dauer nicht aushalten konnten und daß darin
    eine Änderung stattfinden müsse.
    Ihr Leben war scheinbar von der Art, daß man sich ein besseres gar nicht denken konnte: sie lebten im Überfluß,
    sie waren gesund, sie hatten ein Kind, und beide hatten sie ihre Beschäftigung.
    Anna

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