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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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überhaupt nie verstummen.
     
    ›Ich bin eine schlechte Frau, ein verworfenes Weib‹, dachte sie. ›Aber ich verabscheue die Lüge, ich kann die Lüge nicht ausstehen; ihm hingegen ist die Lüge geradezu das tägliche Brot. Er weiß alles, er sieht alles; wie mag es mit seinem Gefühl, mit seiner Empfindung stehen, wenn er sich dabei mit solcher Ruhe unterhalten kann? Wenn er mich tötete, wenn er Wronski tötete, so würde ich ihn dafür achten. Aber nein, was er will, ist nur Unwahrhaftigkeit und Wahrung des äußeren Anstandes.‹ So sprach Anna bei sich, ohne recht zu überlegen, was für ein Verhalten sie denn eigentlich von ihrem Manne verlangte und welche Eigenschaften sie an ihm zu sehen wünschte. Auch das entging ihr, daß Alexei Alexandrowitschs jetzige besonders große Gesprächigkeit, die ihr so sehr mißfiel, lediglich ein Ausdruck seiner inneren Erregung und Unruhe war. Wie ein Kind, das sich gestoßen hat, durch Springen seine Muskeln in Bewegung setzt, um dadurch den Schmerz zu betäuben, so bedurfte auch Alexei Alexandrowitsch notwendig einer geistigen Bewegung, um jene Vermutungen über seine Frau zu betäuben, die sich ihm bei Anwesenheit seiner Frau und bei Anwesenheit Wronskis, und wenn er dessen Namen immer wieder hören mußte, gewaltsam aufdrängten. Und wie es dem Kinde die Natur eingibt, zu springen, so gab sie es ihm ein, ein hübsches, verständiges Gespräch zu führen. Er äußerte sich folgendermaßen:
     
    »Die Gefährlichkeit ist bei militärischen Rennen, bei Kavallerierennen, eine notwendige Bedingung. Wenn England in der Kriegsgeschichte auf die glänzendsten Reitertaten hinweisen kann, so wird dies nur dem Umstande verdankt, daß dieses Land sowohl bei den Tieren wie bei den Menschen diese Kraft im Laufe der Zeit zielbewußt ausgebildet hat. Der Sport ist meiner Ansicht nach von hoher Bedeutung; aber wir sehen bei ihm wie bei allen Dingen eben nur das Alleräußerlichste.«
     
    »Doch nicht bloß das Äußerliche«, warf die Fürstin Twerskaja dazwischen. »Ein Offizier soll sich soeben zwei Rippen gebrochen haben.«
     
    Auf Alexei Alexandrowitschs Gesicht erschien das ihm eigentümliche Lächeln, das nur die Zähne sichtbar werden ließ, aber im übrigen völlig nichtssagend war.
     
    »Allerdings, Fürstin«, versetzte er, »ist das nichts Äußerliches, sondern etwas Innerliches. Aber darum handelt es sich nicht«, hier wandte er sich wieder an den General, mit dem er das Gespräch in ernstem Tone fortsetzte; »Sie dürfen nicht vergessen, daß bei dem Rennen Offiziere reiten, die sich für diesen Beruf nach freier Wahl entschieden haben, und Sie werden zugeben müssen, daß ein jeder Beruf auch seine Kehrseite hat. Der gefährliche Sport gehört geradezu zu den Pflichten eines Offiziers. Der rohe Sport des Faustkampfes oder der spanischen Toreadors ist ein Zeichen von Barbarei. Aber der auf ein besonderes Ziel gerichtete Sport ist ein Zeichen kultureller Entwicklung.«
     
    »Nein, ich komme ein andermal nicht wieder her; das regt mich doch gar zu sehr auf«, sagte die Fürstin Betsy. »Nicht wahr, Anna?«
     
    »Aufregend ist es; aber man kann sich doch nicht davon losreißen«, meinte eine andere Dame. »Wäre ich eine Römerin gewesen, so hätte ich an keinem Kampftage im Zirkus gefehlt.«
     
    Anna erwiderte nichts und blickte, ohne das Opernglas abzusetzen, immer nach einer Stelle hin.
     
    In diesem Augenblick ging ein hoher General durch die Loge. Alexei Alexandrowitsch unterbrach seine Auseinandersetzung, stand eilig, aber dabei doch würdevoll auf und verbeugte sich tief vor dem vorübergehenden Offizier.
     
    »Sie reiten das Rennen nicht mit?« fragte ihn der Offizier scherzend.
     
    »Mein Rennen ist schwieriger«, antwortete Alexei Alexandrowitsch achtungsvoll.
     
    Und obgleich diese Erwiderung eigentlich keinen rechten Sinn hatte, machte der hohe Offizier doch eine Miene, als habe er von einem geistreichen Manne ein geistreiches Wort vernommen und verstehe völlig la pointe de la sauce 1 .
     
    »Es sind da zwei Standpunkte zu unterscheiden«, fuhr Alexei Alexandrowitsch von neuem in seiner Darlegung fort, »der der aktiv Beteiligten und der der Zuschauer. Die Lust an solchen Schauspielen ist bei den Zuschauern, das muß ich zugeben, ein sicheres Zeichen eines niedrigen Bildungsgrades; aber ...«
     
    »Nun, Fürstin, wollen wir wetten?« erscholl von unten her die Stimme Stepan Arkadjewitschs, der sich an Betsy wandte. »Auf wen halten

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