Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
denke, du wirst welches brauchen.«
»Nein, ich brauche noch kein Geld wieder ... oder doch, ja«, antwortete sie, ohne ihn anzusehen, und errötete dabei bis an die Haarwurzeln. »Aber ich denke, du wirst nach dem Rennen doch noch wieder herkommen?«
»O gewiß!« erwiderte Alexei Alexandrowitsch. »Da ist ja auch die Zierde von Peterhof, die Fürstin Twerskaja«, fügte er hinzu, als er bei einem Blicke durch das Fenster ein englisches Geschirr mit außerordentlich hoch angebrachtem, winzigem Wagenkasten bemerkte. »Was für eine Pracht! Entzückend! Nun, dann wollen wir auch abfahren.«
Die Fürstin Twerskaja stieg nicht aus; nur ihr Lakai in Gamaschen, Pelerine und schwarzem Hut sprang an der Haustür ab.
»Ich gehe, auf Wiedersehen!« sagte Anna, küßte ihren Sohn, trat zu Alexei Alexandrowitsch hin und reichte ihm die Hand. »Es war sehr liebenswürdig von dir, daß du hergekommen bist.«
Alexei Alexandrowitsch küßte ihr die Hand.
»Nun, dann auf Wiedersehen! Du kommst also nachher noch einmal, um mit mir Tee zu trinken. Das ist ja prächtig!« rief sie heiter und strahlend beim Hinausgehen. Aber sobald sie ihn nicht mehr sah, fühlte sie auf ihrer Hand nach der Stelle, die seine Lippen berührt hatten, und zuckte wie vor Ekel zusammen.
28
A ls Alexei Alexandrowitsch beim Rennen erschien, saß Anna bereits auf der Tribüne neben Betsy, in der Loge, wo sich die ganze höhere Gesellschaft zu versammeln pflegte. Sie erblickte ihren Mann schon von weitem. Zwei Menschen, ihr Mann und ihr Geliebter, waren für sie die beiden Brennpunkte des Lebens, und ohne Hilfe der äußeren Sinnesorgane spürte sie deren Nähe. Schon von weitem hatte sie die Annäherung ihres Mannes gefühlt, und sie verfolgte ihn unwillkürlich mit den Augen in den Menschenwogen, durch die er sich hinbewegte. Sie sah, wie er der Loge näher kam, indem er bald untertänige Verbeugungen leutselig erwiderte, bald Gleichgestellte freundschaftlich und zerstreut begrüßte, bald eifrig bemüht war, einen Blick von den Mächtigen dieser Welt zu erhaschen, und dabei seinen großen, runden Hut abnahm, der ihm die oberen Ränder der Ohrmuscheln niederdrückte. Sie kannte alle diese Angewohnheiten, und sie waren ihr alle widerwärtig. ›Nur Ehrgeiz, nur der Wunsch, etwas in der Welt zu erreichen, das ist alles, was in seiner Seele vorhanden ist‹, dachte sie, ›aber jedes höhere Streben, Religiosität, Interesse für die Verbreitung der Bildung, das ist ihm alles nur Mittel, um etwas zu erreichen.‹
An den Blicken, die er nach der Damenloge richtete (er schaute gerade auf Anna hin, konnte sie aber in dem Meere von Tüll, Bändern, Federn, Sonnenschirmen und Blumen nicht erkennen), merkte sie, daß er sie suchte; aber sie tat absichtlich, als sähe sie ihn nicht.
»Alexei Alexandrowitsch!« rief ihn die Fürstin Betsy an. »Sie suchen gewiß Ihre Frau; hier ist sie!«
Er lächelte in seiner kühlen Art.
»Hier ist so viel Glanz, daß die Augen geblendet umherirren«, erwiderte er und trat in die Loge hinein. Er lächelte seiner Frau so zu, wie eben ein Ehemann lächeln muß, wenn er seiner Frau wieder begegnet, mit der er vor kurzem noch zusammengewesen ist, und begrüßte die Fürstin und seine anderen Bekannten, indem er einem jeden zukommen ließ, was ihm gebührte, also an die Damen Scherzworte richtete und mit den Männern Begrüßungen austauschte. Unten neben der Loge stand ein von Alexei Alexandrowitsch hochgeschätzter, durch seinen Verstand und seine Bildung bekannter Generaladjutant; Alexei Alexandrowitsch knüpfte ein Gespräch mit ihm an.
Es war gerade eine Pause zwischen zwei Rennen, und daher wurde die Unterhaltung durch nichts gestört. Der Generaladjutant äußerte sich mißbilligend über den Rennsport; Alexei Alexandrowitsch trat dem entgegen und verteidigte ihn. Anna horchte, ohne ein Wort zu verlieren, auf seine hohe, gleichmäßige Stimme, und jedes seiner Worte schien ihr unaufrichtig, und ihr Ohr empfand gleichsam einen physischen Schmerz davon.
Als das Vier-Werst-Rennen mit Hindernissen begann, beugte sie sich vor und blickte unverwandt zu Wronski hin, der zu seinem Pferde ging und es bestieg, und gleichzeitig hörte sie die widerwärtige, gleichmäßig weitersprechende Stimme ihres Mannes. Die Angst um Wronski peinigte sie; aber noch mehr peinigte sie die hohe Stimme ihres Mannes mit dem ihr so wohlbekannten Tonfall; es schien ihr, als wolle diese Stimme
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