Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Aufforderung sprangen die beiden ältesten sofort zu ihm hinunter und liefen mit ihm ebenso unbefangen, wie sie es mit der Kinderfrau oder mit Miß Hull oder mit der Mutter getan hätten. Auch Lilly wollte gern zu ihm hin, und die Mutter reichte sie ihm hinaus; er setzte sie sich auf die Schulter und lief so mit ihr.
»Haben Sie keine Angst, haben Sie keine Angst, Darja Alexandrowna!« rief er der Mutter heiter lächelnd zu. »Es ist ganz unmöglich, daß ich ihr weh tue oder sie fallen lasse.«
Und da sie sah, mit welcher Kraft und Behendigkeit, mit welcher sorglichen Achtsamkeit, ja übermäßigen Vorsicht er sich beim Laufen bewegte, beruhigte sich die Mutter und lächelte ihm gleichfalls vergnügt und beifällig zu.
Hier auf dem Lande und im Verkehr mit den Kindern und der ihm sehr sympathischen Darja Alexandrowna kam Ljewin in jene, bei ihm nicht seltene, kindlich fröhliche Gemütsstimmung hinein, die Darja Alexandrowna an ihm ganz besonders gern hatte. Während er mit den Kindern lief, gab er ihnen turnerische Anweisungen, brachte zugleich Miß Hull durch sein schlechtes Englisch zum Lachen und erzählte Darja Alexandrowna allerlei von seiner Beschäftigung hier auf dem Lande.
Nach dem Mittagessen saß Darja Alexandrowna mit ihm allein auf der Veranda und begann nun von Kitty zu reden.
»Wissen Sie es? Kitty wird herkommen und bei mir den Sommer verleben.«
»Wirklich?« erwiderte er; er war dunkelrot geworden und fügte, um den Gegenstand des Gespräches zu wechseln, sogleich hinzu: »Darf ich Ihnen also zwei Kühe schicken? Wenn Sie mit mir darüber abzurechnen wünschen, so können Sie mir ja fünf Rubel monatlich bezahlen, wenn Sie sich kein Gewissen daraus machen, mich so zu behandeln.«
»Nein, ich danke bestens. Diese Sache ist bei uns schon in guter Ordnung.«
»Nun, dann möchte ich einmal Ihre Kühe ansehen und, wenn Sie gestatten, Anweisung geben, wie sie gefüttert werden sollen. Die Hauptsache ist eine zweckmäßige Fütterung.«
Und um nur das Gespräch in eine andere Bahn zu bringen, setzte er ihr seine Theorie der Milchwirtschaft auseinander, die darin gipfelte, daß die Kuh nur die Maschine zur Umwandlung des Futters in Milch sei und so weiter.
Er redete über diesen Gegenstand und wünschte dabei leidenschaftlich, Genaueres über Kitty zu hören, bangte aber gleichzeitig davor. Er fürchtete, daß seine so mühsam erworbene Ruhe wieder vernichtet werden könne.
»Das mag ja sein; aber all dergleichen muß beaufsichtigt werden, und wer wird das hier bei mir tun?« antwortete Darja Alexandrowna nur widerstrebend.
Sie hatte ihre Wirtschaft jetzt mit Matrona Filimonownas Beihilfe so weit in Ordnung gebracht, daß sie nichts darin ändern mochte; und zudem traute sie auch Ljewins landwirtschaftlichen Kenntnissen nicht recht. Seine Auseinandersetzung, daß die Kuh eine Maschine zur Milcherzeugung sei, war ihr verdächtig. Sie meinte, derartige Vorschläge könnten im Betriebe der Wirtschaft nur störend wirken. Nach ihrer Auffassung lag die Sache viel einfacher: man brauche nur, wie Matrona Filimonowna ihr erklärt hatte, der Buntscheckigen und der Weißbauchigen mehr Futter und Trank zu geben und nicht zuzulassen, daß der Koch das Spülicht aus der Küche für die Kuh der Waschfrau wegtrage. Das war ihr verständlich. Dagegen erschienen ihr Vorschläge über Kleienfütterung und Grasfütterung unsicher und unklar. Und was die Hauptsache war: sie wollte jetzt über Kitty sprechen.
10
» K itty schreibt mir, sie wünsche nichts sehnlicher als Einsamkeit und Ruhe«, sagte Dolly, nachdem beide ein Weilchen geschwiegen hatten.
»Und wie ist es mit ihrer Gesundheit? Geht es besser?« fragte Ljewin in merklicher Aufregung.
»Gott sei Dank, sie ist völlig wiederhergestellt. Ich habe nie daran geglaubt, daß sie brustkrank wäre.«
»Ach, das freut mich recht!« rief Ljewin, und Dolly fand, während er das sagte und sie dann schweigend ansah, auf seinem Gesichte einen Ausdruck rührender Hilflosigkeit.
»Hören Sie mal, Konstantin Dmitrijewitsch«, sagte Darja Alexandrowna, und sie lächelte dabei in ihrer gutmütigen und zugleich ein wenig spöttischen Weise, »warum sind Sie eigentlich auf Kitty böse?«
»Ich? Ich bin nicht böse auf sie«, versetzte Ljewin.
»Doch, doch, Sie sind böse auf sie. Warum sind Sie denn, als Sie in Moskau waren, weder zu uns noch zu ihnen gekommen?«
»Darja
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