Und Nietzsche lachte
Vorspiel im Himmel
Es geschah an einem Wintermorgen in der Ewigkeit, dass dem höchsten Gott der Kragen platzte. Er hatte es lange genug mitangesehen. So konnte es nicht weitergehen. Seine lieben Menschenkinder waren völlig aus dem Ruder gelaufen. Sie hetzten wie besessen durcheinander, sie rechneten und handelten; sie rannten dem nach, was sie »Glück« nannten, und wurden dabei immer unglücklicher; sie rackerten sich ab, doch ihre Seelen verödeten mehr und mehr; sie bangten um ihre Gesundheit, aber schleppten sich gequält durchs Leben; um sich zu erholen verreisten sie, doch innerlich vereisten sie. So jedenfalls kam es Gott vor. Ihm schien, dass die Menschen zwar nicht den Verstand verloren hätten, dass ihnen aber das Herz in der Brust gefroren sei; und dass sie deshalb nicht mehr klar denken konnten. Er stellte fest, dass sie den Sinn für den Sinn verloren hatten. Und also beschied er, es müsse Abhilfe geschaffen werden. So kam es, dass er den Rat der Denker einberief.
Und da saßen sie nun, in langen Reihen am ortlosen Ort, und sollten dem höchsten Gott erläutern , was ihrer Meinung nach zu tun sei, um der Krisen auf Erden Herr zu werden – da saßen die Philosophen aller Zeiten, legten ihr Kinn in die Hand und dachten nach. Vielleicht sollte erwähnt werden, dass Gott in seiner endlosen Weisheit nur die Denker des Westens zum Konzil gebeten hatte. Sie, so meinte er, hatten die ganze Sache vergeigt. Und so schien es ihm nur recht und billig, dass diese gravitätisch grübelnden Herren nun auch den Karren aus dem Dreck ziehen sollten. Außerdem ergingen sich die Weisen des Ostens ja ohnehin lieber in der gedankenfreien Schwerelosigkeit ihrer Meditationen …
Nachdem sie eine hübsche Ewigkeit vor sich hin gedacht hatten, hielt Gott die Zeit für gekommen, seine Stimme zu erheben und die erhabene Gesellschaft um Antwort auf die Frage der Fragen zu ersuchen: »Was müssen wir den Menschen geben, auf dass sie den Sinn ihres Lebens entdecken?«
Kaum war das letzte Wort Gott es im Weltall verhallt, da schnippte ganz vorne ein Mann mit den Fingern – einer, den die anderen spöttisch den »Primus« nannten; den sie also nicht recht leiden mochten.
»Sprich, Augustinus«, tönte der Ewige .
Und Augustinus sprach: »Unruhig ist mein Herz, wenn ich vor dir sprechen darf, mein …«
»Keine langen Bekenntnisse, Augustin«, mahnte die mächtige Stimme, »komm Er zur Sache.«
»Na denn«, stammelte der irritierte Heilige, »also, wenn ich das alles richtig verstanden habe, dann sollten wir die Menschen von dort nach hier bringen, so dass sie sich auf ewig an deiner großen Herrlichkeit ergötzen können.«
Ein gewisser Dante, der auf den hinteren Rängen saß, brach ob dieser Rede in schallendes Gelächter aus und rief: »Welch göttliche Komödie!«, doch als er sah, dass sich der Höchste gelangweilt abwandte und den heiligen Kirchenlehrer mit resigniert abwinkender Geste auf seinen Platz verwies, verstummte er genauso wie all die anderen klugen Köpfe.
Dunkles Schweigen legte sich auf die Gesellschaft. Nach diesem gründlich verpatzten Auftakt wollte sich niemand mehr vorwagen. Nur einer erhob sich. Aufrecht stand er da, klar, gerade – eine prächtige Erscheinung, ganz Anstand, Disziplin, geistige Strenge. Alle respektierten ihn, auch wenn keiner ihn liebte: Kant. Immanuel Kant. Kühl konzentriert erhob er die Stimme: »Es ist meine Pflicht, Ihnen zu antworten, werter Herr«, sprach er. »Meine Antwort lautet: Geben wir ihnen eine Maxime, durch die sie zugleich wollen können, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.«
»Hä?«
Alle Augen wandten sich zum Thron. Hatte der Höchste und Beste wirklich »Hä?« gesagt? Er hatte, und er saß da und kratzte sein weises Haupt.
»Noch einmal, mein Freund«, erging sein Wort, »ich habe dich nicht verstanden!«
»Ganz einfach, Sire«, erwiderte der hagere Denker. »Sorge dafür, dass sie so handeln, als ob die Maxime ihrer Handlung durch ihren Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte.«
»Ah, äh«, der Ewige rutschte auf seinem Thron hin und her. »Aber, hm, haben wir das nicht schon versucht? Ich meine, die Zehn Gebote, Moral, Sittengesetz, Bergpredigt – mein Gott, das ganze Programm, aber es hat nichts geholfen.«
»Yes, indeed«, sprang da ein fixes Bürschchen auf, den keiner so recht kannte, der sich aber sogleich in gewandter Wendung als »John Stuart Mill, Verfechter des Utilitarismus und Liberalismus« vorstellte. Das war zwar recht
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