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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Mutter.
     
    Vor den Wagen war statt des störrischen »Raben« dank der Fürsprache Matrona Filimonownas der Braune des Verwalters gespannt, und Darja Alexandrowna, die sich mit der Sorge um ihre Kleidung etwas länger aufgehalten hatte, kam nun in einem weißen Musselinkleide heraus und stieg in den Wagen.
     
    Darja Alexandrowna hatte sich mit großer Sorgfalt und nicht ohne innere Erregung frisiert und angekleidet. Früher hatte sie sich um ihrer selbst willen geputzt, um hübsch auszusehen und zu gefallen, aber dann war es ihr, je älter sie wurde, immer unangenehmer geworden, sich zu putzen, weil sie sah, wie unschön sie geworden war. Jetzt indessen hatte sie sich wieder einmal mit Vergnügen und mit einer Art von Aufregung geputzt. Jetzt hatte sie sich nicht um ihrer selbst willen, nicht um schön auszusehen, geputzt, sondern um nicht als Mutter dieser reizenden Kinder den Gesamteindruck zu verderben. Und als sie zum letzten Male in den Spiegel geblickt hatte, war sie mit sich zufrieden gewesen. Sie sah gut aus, nicht in der Weise gut, wie sie früher auf Bällen gut auszusehen gewünscht hatte, aber gut für den Zweck, den sie jetzt im Auge hatte.
     
    In der Kirche war niemand außer einigen Bauern und Gutsknechten mit ihren Weibern. Aber Darja Alexandrowna sah oder glaubte wenigstens zu sehen, daß sie und ihre Kinder das Entzücken aller Anwesenden hervorriefen. Die Kinder waren nicht nur äußerlich schön in ihren festlichen Kleidern, sondern auch ihr artiges Benehmen machte einen sehr hübschen Eindruck. Alexei stand allerdings nicht ganz untadelig da; er drehte sich fortwährend um und wollte sein Jäckchen von hinten sehen; aber er war trotzdem ganz allerliebst. Tanja stand da wie eine Erwachsene und gab auf die Kleinen acht. Aber die Kleinste, Lilly, war geradezu entzückend in ihrem kindlichen Staunen über alles, und es war schwer, ein Lächeln zu unterdrücken, als sie nach Empfang des Abendmahls sagte: »Please, some more. 1 «
     
    Bei der Heimfahrt hatten die Kinder das Gefühl, daß etwas Feierliches vor sich gegangen sei, und verhielten sich sehr ruhig und artig.
     
    Auch zu Hause ging zunächst alles gut. Aber beim Frühstück fing Grigori an zu pfeifen, und was das Schlimmste war, er gehorchte der Engländerin nicht; diese teilte ihm daher nichts von der süßen Pastete zu. Darja Alexandrowna hätte es an einem solchen Tage nicht bis zu einer Bestrafung kommen lassen, wenn sie zugegen gewesen wäre; aber sie mußte die Anordnung der Engländerin aufrechterhalten, und so bestätigte sie denn deren Urteil, daß Grigori keine Pastete bekommen solle. Dies brachte in die allgemeine Freude eine kleine Störung.
     
    Grigori weinte und sagte, Nikolai habe auch gepfiffen, und der werde nicht bestraft; und er weinte nicht um die Pastete, das sei ihm ganz egal, sondern weil sie ungerecht gegen ihn seien. Das war nun doch gar zu traurig, und Darja Alexandrowna beschloß, mit der Engländerin über den Fall Rücksprache zu nehmen und dann dem kleinen Grigori zu verzeihen. Sie wollte sich daher zu ihr begeben; aber als sie dabei durch den Saal ging, erblickte sie eine Szene, die ihr Herz mit solcher Freude erfüllte, daß ihr die Tränen in die Augen traten und sie dem Übeltäter ohne weiteres selbst verzieh.
     
    Der Bestrafte saß im Saale auf dem Fensterbrett des Eckfensters; vor ihm stand Tanja mit einem Teller. Unter dem Vorwande, daß sie gern ihren Puppen etwas zu essen bringen möchte, hatte sie sich von der Engländerin die Erlaubnis erbeten, ihre Pastete nach dem Kinderzimmer zu tragen, und hatte sie statt dessen ihrem Bruder gebracht. Während er fortfuhr, über die Ungerechtigkeit der erlittenen Strafe zu weinen, aß er von der Pastete, die ihm Tanja gebracht hatte, und sagte unter Schluchzen: »Iß du auch mit; wir wollen zusammen essen ... beide zusammen.«
     
    Auf Tanja wirkte zunächst das Mitleid mit Grigori, dann auch das Bewußtsein ihrer tugendhaften Tat; beides trieb auch ihr die Tränen in die Augen; aber sie aß, ohne sich zu weigern, ihren Teil.
     
    Beim Anblick der Mutter erschraken sie; aber als sie ihr ins Gesicht sahen, merkten sie, daß ihr Tun günstig aufgefaßt werde, fingen an zu lachen, wischten sich, den Mund noch immer voll Pastete, die lächelnden Lippen mit den Händen ab und beschmierten dabei ihre strahlenden Gesichter über und über mit Tränen und Eingemachtem.
     
    »Um Gottes willen! Das neue weiße Kleid! Tanja! Grigori!« rief die Mutter, bemüht, das

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