Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
den Fäusten los, wohin es gerade traf. Darja Alexandrowna hatte bei diesem Anblick eine Empfindung, als ob in ihrem Herzen etwas zerrisse; es war ihr, als senke sich ein tiefes Dunkel auf ihr Leben herab: sie erkannte auf einmal, daß diese ihre Kinder, auf die sie so stolz gewesen war, nicht nur Kinder der allergewöhnlichsten Art, sondern sogar unartige, übel erzogene Kinder mit rohen, gewalttätigen Trieben, mit einem Wort: schlechte Kinder waren.
Sie konnte von nichts anderem sprechen und an nichts anderes denken und mußte ihrem Gaste ihr schweres Leid erzählen.
Ljewin sah, wie unglücklich sie über den Vorfall war, und bemühte sich, sie zu trösten, indem er sagte, das sei noch gar kein Beweis von schlechtem Charakter; prügeln täten sich alle Kinder; aber während er so redete, dachte er doch in seinem Herzen: ›Nein, ich werde nicht Komödie spielen und mit meinen Kindern Französisch sprechen. Aber meine Kinder werden auch von anderer Art sein; man muß seine Kinder nur nicht verderben und verbilden; dann werden es prächtige Kinder sein. Ja, meine Kinder werden von anderer Art sein.‹
Er empfahl sich und fuhr ab, und sie suchte ihn nicht zurückzuhalten.
11
M itte Juli stellte sich bei Ljewin der Dorfschulze von dem Dorfe seiner Schwester ein, das ungefähr zwanzig Werst von Pokrowskoje entfernt lag, und brachte einen Rechenschaftsbericht über den Gang der Wirtschaftsangelegenheiten und über die Heuernte. Die Haupteinnahme lieferten bei dem Gute seiner Schwester die Überschwemmungswiesen am Flusse. In früheren Jahren waren diese Wiesen für zwanzig Rubel die Deßjatine an die Bauern auf Teilung verpachtet worden. Als Ljewin die Verwaltung des Gutes übernahm, fand er bei einer Besichtigung der Wiesen, daß sie mehr wert seien, und setzte den Preis für die Deßjatine auf fünfundzwanzig Rubel fest. Auf diesen Preis gingen die Bauern nicht ein und verscheuchten, wie Ljewin argwöhnte, auch andere Pachtlustige. Darauf fuhr Ljewin selbst hin und richtete es so ein, daß die Wiesen teils für Tagelohn, teils für einen Teil des Ertrags gemäht wurden. Die Bauern des Dorfes selbst bereiteten dieser Neuerung Hindernisse, soviel sie nur irgend konnten; aber die Sache gelang trotzdem, und gleich im ersten Jahre wurde aus den Wiesen fast die doppelte Einnahme erzielt. Im dritten Jahre, das heißt im letztvergangenen, hatte dieser Widerstand der Bauern noch fortgedauert, und die Heuernte war in derselben Weise vor sich gegangen. Im laufenden Jahre nun hatten die Bauern das Einernten des Heus auf allen Wiesen für den dritten Teil des Ertrages übernommen, und jetzt kam der Dorfschulze, um zu melden, daß die Heuernte beendet sei und daß er, aus Furcht vor Regen, unter Zuziehung des Gutsschreibers in dessen Gegenwart die Teilung vorgenommen und bereits elf herrschaftliche Schober aufgestellt habe. Aber aus seinen unbestimmten Antworten auf die Frage, wieviel Heu auf der Hauptwiese geerntet sei, aus der Eilfertigkeit des Dorfschulzen, der die Teilung des Heus ohne vorherige Anfrage ausgeführt hatte, und aus dem ganzen Tone des Bauern schloß Ljewin, daß bei dieser Teilung des Heues etwas nicht richtig sei, und er beschloß, selbst hinzureiten und die Sache zu untersuchen.
Er kam gegen Mittag im Dorfe an, stellte sein Pferd in dem Gehöft eines ihm befreundeten alten Bauern unter, des Mannes der Amme seines Bruders, und suchte diesen selbst auf seinem Bienenstande auf, da er von ihm gern Näheres über die Heuernte erfahren hätte. Der gesprächige, stattliche Alte – er hieß Parmenow – begrüßte Ljewin hocherfreut, zeigte ihm seine ganze Wirtschaft und erzählte sehr eingehend von seinen Bienen und von dem Schwärmen in diesem Jahre; aber Ljewins Fragen nach der Heuernte beantwortete er nur unbestimmt und mit sichtlichem Widerstreben. Dadurch fühlte sich Ljewin in seinen Vermutungen nur noch mehr bestärkt. Er ging auf die Wiesen und sah sich die Schober an. Unmöglich konnten diese Schober je fünfzig Fuhren enthalten, und um die Bauern zu überführen, ließ Ljewin sofort einige mit dem Heueinfahren beschäftigte Gespanne heranholen, das Heu eines Schobers aufladen und in die Scheune fahren. Aus dem Schober kamen nur zweiunddreißig Fuhren heraus. Trotz der Beteuerungen des Dorfschulzen, das Heu sei sehr locker gewesen und habe sich dann in den Schobern gesackt, und obwohl er Gott zum Zeugen anrief, daß er mit der größten Gewissenhaftigkeit verfahren sei, ließ
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