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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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hitzig. »Auf welche Weise können die Schulen dem Volke zur Verbesserung seiner materiellen Lage behilflich sein? Sie sagen: die Schulen und die Bildung erwecken beim Volke neue Bedürfnisse. Um so schlimmer; denn das Volk wird nicht imstande sein, diese neuen Bedürfnisse zu befriedigen. Und auf welche Weise die Kenntnis des Addierens und Subtrahierens und des Katechismus dem Volke zur Verbesserung seiner materiellen Lage behilflich sein soll, das habe ich nie begreifen können. Vorgestern abend traf ich eine Bauersfrau mit einem Säugling und fragte sie, wohin sie ginge. Sie antwortete: ›Ich bin bei der Hebamme gewesen; das Jungchen hatte den Schreikrampf bekommen; da habe ich es hingetragen, damit sie es heilen sollte.‹ Ich fragte: ›Wie heilt denn die Hebamme den Schreikrampf?‹ ›Sie setzt das Kindchen zu den Hühnern auf die Sitzstange und sagt etwas dazu.‹«
     
    »Na, sehen Sie wohl, da sagen Sie es ja selbst! Damit so eine Frau nicht ihr Kind hinträgt, um es auf der Hühnerstange vom Schreikrampfe heilen zu lassen, dazu sind die Schulen nötig ...« sagte Swijaschski mit vergnügtem Lächeln.
     
    »Aber nein doch!« erwiderte Ljewin ärgerlich. »Diese Heilmethode benutzte ich ja nur zum Vergleiche mit der Heilung des Volkes durch Schulen. Das Volk ist arm und ungebildet; das sehen wir ebenso deutlich, wie die Bauersfrau den Schreikrampf daran erkennt, daß das Kind so schreit. Aber auf welche Weise gegen diesen schlimmen Zustand, die Armut und den Mangel an Bildung, dem Volke die Schulen helfen sollen, das ist ebenso unbegreiflich, wie es unbegreiflich ist, auf welche Weise die Hühner auf der Sitzstange gegen den Schreikrampf helfen sollen. Die Hilfe muß sich gegen die Ursache der Armut des Volkes richten.«
     
    »Na, wenigstens in diesem Punkte stimmen Sie mit Spencer überein, den Sie ja so wenig leiden können; der sagt auch, die Bildung könne eine Folge größeren Wohlstandes und Wohlbehagens – wie er sich ausdrückt: häufigen Waschens – sein, nicht aber eine Folge der Kenntnis des Lesens und Schreibens.«
     
    »Nun, sehen Sie, da bin ich ja sehr froh oder vielmehr sehr mißvergnügt, daß ich mit Spencer übereinstimme; aber zu dieser Erkenntnis bin ich schon längst gekommen. Schulen helfen da nicht; helfen kann da nur eine wirtschaftliche Einrichtung, bei der das Volk reicher wird und mehr freie Zeit bekommt – dann werden die Schulen ganz von selbst entstehen.«
     
    »Und doch ist jetzt in ganz Europa der Schulbesuch Pflicht.«
     
    »Aber wie können denn Sie selbst in diesem Punkt mit Spencer einer Meinung sein?« fragte Ljewin.
     
    Aber in Swijaschskis Augen wurde wieder für einen Augenblick jener Ausdruck von Angst sichtbar, und er antwortete lächelnd:
     
    »Nein, diese Geschichte von dem Schreikrampf ist ausgezeichnet! Und das haben Sie wirklich selbst gehört?«
     
    Ljewin sah, daß es ihm auf diese Weise nicht gelingen werde, den inneren Zusammenhang zwischen dem praktischen Leben dieses Mannes und seiner Gedankenwelt zu finden. Es war diesem offenbar ganz gleichgültig, zu welchen Ergebnissen ihn seine Denktätigkeit führte; woran ihm lag, das war eben nur die Tätigkeit des Denkens selbst. Unangenehm war es ihm allerdings, wenn diese Denktätigkeit ihn in eine Sackgasse führte. Nur das mochte er nicht leiden und suchte sich dann dadurch zu helfen, daß er die Rede auf irgend etwas Angenehmes und Vergnügliches brachte.
     
    Alle Erlebnisse dieses Tages hatten auf Ljewin stark gewirkt, darunter als erstes der Eindruck, den ihm der Bauer auf der Mitte seiner Fahrt gemacht hatte, ein Eindruck, der gleichsam die Basis für alle weiteren Eindrücke des Tages abgab. Dieser liebenswürdige Swijaschski, der sich eine bestimmte Gattung von Gedanken nur so für die Bedürfnisse des gesellschaftlichen Verkehrs hielt und offenbar noch andere, vor Ljewins Spürsinn verborgene Grundanschauungen für sein Handeln besaß und zugleich, wie viele andere Leute, deren Name Legion ist, auf die Anschauungen seiner Mitmenschen durch Gedanken, die ihm selbst fremd waren, leitend einwirkte; dann dieser verbitterte Gutsbesitzer, der durchaus recht hatte in den Schlußfolgerungen, die ihm das Leben aufgezwungen hatte, aber unrecht in seiner Verbitterung gegen eine ganze Volksklasse, und zwar gegen die beste in Rußland; endlich seine eigene Unzufriedenheit mit seiner Tätigkeit und die unklare Hoffnung, daß sich ein Mittel werde finden lassen, um dies alles zu bessern: alles das floß

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