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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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aber die seien nicht vorhanden. Was nötig sei, sei der Stock; aber wir seien so liberal geworden, daß wir statt der seit tausend Jahren bestehenden Prügelstrafe auf einmal Anwälte und Gefängnishaft eingeführt hätten, wobei man die nichtsnutzigen, stinkenden Bauern mit guter Suppe füttere und ausrechne, wieviel Kubikfuß Luft sie brauchten.
     
    »Warum meinen Sie«, sagte Ljewin in dem Bestreben, auf das Thema zurückzukommen, »daß es unmöglich ist, ein solches Verhältnis zu den Arbeitskräften ausfindig zu machen, daß dabei die Arbeit nutzbringend wird?«
     
    »Das wird sich mit dem russischen Landvolke nie erreichen lassen. Wir haben keine Machtmittel«, antwortete der Gutsbesitzer.
     
    »Wie könnten wir denn überhaupt noch neue Verhältnisse ausfindig machen?« fragte Swijaschski, der einen Teller saure Milch gegessen, sich eine Zigarette angezündet hatte und nun wieder zu den Disputierenden trat. »Alle nur denkbaren Verhältnisse zu den Arbeitskräften sind wissenschaftlich bestimmt und studiert worden«, sagte er. »Jenes Überbleibsel der Barbarei, die urzeitliche Gemeinde mit gegenseitiger Bürgschaft, zerfällt von selbst; die Leibeigenschaft ist aufgehoben; so bleibt nur die freie Arbeit übrig, und deren Formen sind genau festgelegt und fix und fertig, und die müssen wir annehmen. Knecht, Tagelöhner, Pächter – über diese Möglichkeiten werden Sie nicht hinauskommen.«
     
    »Aber Europa ist mit diesen Formen unzufrieden.«
     
    »Das ist richtig, und man sucht dort nach neuen. Und man wird auch wahrscheinlich welche finden.«
     
    »Davon rede ich ja auch nur!« versetzte Ljewin. »Warum sollen wir nicht auch unsrerseits danach suchen?«
     
    »Weil das ganz dasselbe wäre, wie wenn wir Systeme für den Eisenbahnbau neu erfinden wollten. Die sind schon erfunden und fix und fertig.«
     
    »Aber wenn sie nun für uns nicht passen, wenn sie töricht sind?« wandte Ljewin ein.
     
    Und wieder bemerkte er in Swijaschskis Augen jenen Ausdruck von Angst.
     
    »Ja, ja, so ist das: wir werden den Vogel abschießen; wir werden das herausbekommen, wonach Europa noch sucht! Ich kenne das alles; aber entschuldigen Sie, kennen Sie wohl Ihrerseits alles, was in Europa in der Frage der Arbeiterorganisation geschehen ist?«
     
    »Nein, nur mangelhaft.«
     
    »Die Frage beschäftigt jetzt die besten Köpfe in ganz Europa. Zum Beispiel die Schulze-Delitzsch-Richtung ... Und dann diese gewaltige Literatur über die Arbeiterfrage von der allerfortschrittlichsten Lassalleschen Richtung ... Die Mülhäuser Organisation ist ja schon zur wirklichen Tatsache geworden; Sie wissen gewiß davon.«
     
    »Ich habe eine Vorstellung davon, indes nur eine sehr unklare.«
     
    »Ach, das sagen Sie nur so; Sie wissen sicherlich mit allen diesen Dingen nicht weniger Bescheid als ich. Ich bin ja natürlich kein Professor der Sozialwissenschaften; aber die ganze Sache hat mich sehr interessiert, und wirklich, wenn Sie sich dafür interessieren, so werden Sie guttun, sich genauer damit zu beschäftigen.«
     
    »Aber zu welchem Ergebnis ist man denn gelangt?«
     
    »Verzeihung ...«
     
    Die Gutsbesitzer waren aufgestanden, und Swijaschski begleitete seine Gäste hinaus; so hatte er Ljewin wieder nicht zum Ziele kommen lassen, als dieser nach seiner häßlichen Gewohnheit versucht hatte, einen Blick in die Teile seines Geistes zu werfen, die hinter den Empfangszimmern lagen.
     

28
     
    L jewin empfand an diesem Abend in der Gesellschaft der Damen eine unerträgliche Langeweile. Es regte ihn wie noch nie zuvor der Gedanke auf, daß der jetzige ihn so wenig befriedigende Zustand seiner Wirtschaft nicht etwas nur ihm persönlich Eigenes, sondern ein Teil des allgemeinen Zustandes sei, in dem sich die Sache in ganz Rußland befinde, und daß die Schaffung eines Verhältnisses zu den Arbeitern, bei dem diese so arbeiteten wie bei jenem Bauern auf der Hälfte des Weges, nicht ein Hirngespinst, sondern eine Aufgabe sei, die unbedingt gelöst werden müsse. Und es schien ihm, daß die Lösung dieser Aufgabe möglich und es seine Pflicht sei, einen Versuch dazu zu machen.
     
    Nachdem Ljewin den Damen gute Nacht gesagt und versprochen hatte, noch den ganzen folgenden Tag dazubleiben, um mit ihnen zusammen auszureiten und in dem staatlichen Walde einen interessanten Erdsturz zu besichtigen, begab er sich vor dem Schlafengehen noch in das Arbeitszimmer des Hausherrn, um sich die Bücher über die Arbeiterfrage, die ihm

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